Weil sie Deutsche sind  – Feuersturm von Darmstadt am 11.09.1944

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Mit dem Ziel, den deutschen Widerstand zu brechen und Deutschland für immer zu demütigen, ordnete Churchill, ein Mann, der Deutschland zutiefst verachtete, den totalen Bombenkrieg gegen das Reich an. Es begann eine Vernichtung deutscher Städte von ungekannter Brutalität, die unendliches Leid und Grauen für die Deutschen bedeutete.

„Ich will keine Vorschläge hören, wie wir kriegswichtige Ziele im Umland von Dresden zerstören können; ich will Vorschläge hören, wie wir 600.000 Flüchtlinge aus Breslau in Dresden braten können.“ Churchill

Es war eine klare und stille Nacht im September 1944. Die Bewohner von Darmstadt, der Hauptstadt des Volksstaats Hessen, ahnten nicht, dass sie in wenigen Stunden Zeugen eines der schrecklichsten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs werden würden. Ein Angriff, der ihre Stadt in Schutt und Asche legen und Tausende von Menschenleben fordern würde.

Die Angreifer

Der Angriff wurde von der No. 5 Bomber Group der Royal Air Force (RAF) durchgeführt, einer auf die systematische Zerstörung ziviler Flächenziele spezialisierten Einheit1. Die No. 5 Bomber Group war unter anderem für die Flächenbombardements auf Dresden, Kassel, Braunschweig, Pforzheim, Hamburg, Stuttgart, Heilbronn und Würzburg verantwortlich1. Die Einheit wandte eine Kombination von Spreng- und Brandbomben an. Diese Kombination führte im militärischen Optimalfall zu einem Feuersturm. Das Feuer vervielfachte dabei die Schäden der als Verursacher eingesetzten Spreng- und Brandbomben1.

Der Befehlshintergrund der Bombardierung war die britische Area Bombing Directive (Anweisung zum Flächenbombardement)1. Diese Anweisung erlaubte es dem RAF Bomber Command, deutsche Städte ohne Rücksicht auf militärische oder zivile Ziele anzugreifen, um die Moral der Bevölkerung zu brechen und den Krieg zu verkürzen2.

Die Vorbereitung

Für Darmstadt als Angriffsziel gab es keine schwerwiegenden Gründe1. Der Militärschriftsteller Max Hastings erklärte die Zielauswahl des Bomber Command am Beispiel Darmstadt so: “On a given night, a compound of weather, forces available and the state of the German defences determined which was chosen for attack.” ( „In der jeweiligen Nacht bestimmte eine Mischung aus Wetterlage, verfügbaren Einheiten und dem Zustand der deutschen Verteidigung die Auswahl des Angriffsziels.“)1

Zur Zeit des Angriffs experimentierte die No. 5 Bomber Group mit neuen Markierungs- und Bombardierungsmethoden1. Ihre Wirksamkeit ließ sich am besten an einer unzerstörten Stadt testen1. Zudem sollten die eigenen Verluste bei diesem Test minimiert werden, in dem die Flugstrecke über feindlichem Gebiet möglichst kurz ausfiel1. Alle diese Kriterien trafen auf Darmstadt zu1.

Die genaue Auswahl der zu bombardierenden Stadtteile wurde anhand von Luftbildern, Bevölkerungsdichtekarten und Brandversicherungskatasterkarten getroffen1. Die Katasterkarten waren durch deutsche Feuerversicherungen bei britischen Rückversicherungsgesellschaften vor dem Kriege hinterlegt worden1. Die Darmstädter Altstadt wurde als Kerngebiet des Angriffs ausgewählt, da hier der Holzanteil an der Gesamtbaumasse am höchsten war1. Damit stellte sie zum Entzünden eines Feuersturms in Darmstadt das optimale Kernzielgebiet dar1.

Vor dem Bombardement wurde das fächerförmige Zielgebiet von Mosquito-Schnellbombern durch rote und grüne Markierungskörper (sogenannte Christbäume) abgegrenzt1. Dies wurde überwacht durch einen in großer Höhe fliegenden Masterbomber, der über Funk mit den Markierungsfliegern verbunden war1.

Das Bombardement

Der Angriff begann um 22:35 Uhr mit dem Setzen eines weißen Markierungskörpers auf dem „Exerzierplatz“ (ein damals unbebautes markantes Gelände im Westen der Stadt zwischen Rheinstraße und Holzhofallee südöstlich des Hauptbahnhofs, wo sich heute etwa die Hochschule Darmstadt befindet)1. Kurz darauf folgten die ersten Wellen von Lancaster-Bombern, die ihre tödliche Fracht über der Stadt abwarfen1. Die Bomben fielen in einem dichten Teppich, der die Altstadt und die angrenzenden Viertel in ein Inferno verwandelte1. Die Explosionen zerfetzten Häuser, Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und Fabriken. Die Brandbomben entfachten ein loderndes Feuer, das sich rasch ausbreitete und einen gewaltigen Sog erzeugte1. Die Luft wurde so heiß, dass sie Menschen und Tiere erstickte oder verbrannte. Die Flammen schlugen bis zu 200 Meter hoch in den Himmel1.

Der Angriff dauerte weniger als eine halbe Stunde, aber er war so intensiv, dass er einen Feuersturm auslöste, der die ganze Nacht über wütete1. Die deutsche Luftabwehr war machtlos gegen die überlegene britische Taktik und Technik. Nur wenige Flakgeschütze konnten das Feuer eröffnen, und die Jagdflieger waren zu spät alarmiert worden1. Die RAF verlor nur sechs ihrer 226 eingesetzten Maschinen1.

Brandbekämpfung

Die Darmstädter Feuerwehr war völlig überfordert von dem Ausmaß der Katastrophe. Sie hatte nur wenige Löschfahrzeuge und Schläuche zur Verfügung, die zudem oft durch Bombentreffer zerstört oder unbrauchbar gemacht wurden1. Die Wasserversorgung war ebenfalls unterbrochen oder unzureichend. Die Feuerwehrleute mussten sich oft mit Eimern oder Gartenschläuchen behelfen1. Sie kämpften verzweifelt gegen die Flammen an, aber sie konnten nur wenig ausrichten. Viele von ihnen kamen selbst ums Leben oder wurden schwer verletzt1.

Die Zivilbevölkerung versuchte ebenfalls, das Feuer zu bekämpfen oder zu fliehen. Viele Menschen suchten Schutz in Kellern oder Bunkern, aber auch dort waren sie nicht sicher. Die Hitze war so groß, dass sie die Betonwände zum Bersten brachte oder die Luft zum Glühen brachte1. Andere Menschen rannten panisch durch die Straßen, auf der Suche nach einem Ausweg aus der Hölle. Sie wurden oft von herabfallenden Trümmern erschlagen oder von den Flammen eingeholt1. Manche sprangen in Brunnen oder Teiche, um sich zu retten, aber auch dort ertranken sie oder wurden gekocht1.

Opfer

Die genaue Zahl der Opfer des Luftangriffs auf Darmstadt ist bis heute nicht bekannt. Schätzungen gehen von 10.000 bis 15.000 Toten aus12. Viele Leichen waren so stark verbrannt oder zerschmettert, dass sie nicht identifiziert werden konnten. Sie wurden in Massengräbern auf dem Waldfriedhof beigesetzt1. Viele Überlebende litten unter schweren Verbrennungen, Schock oder Trauma. Sie wurden in provisorischen Lazaretten versorgt oder in andere Städte evakuiert1.

Der Luftangriff auf Darmstadt war einer der verheerendsten des gesamten Krieges. Er zerstörte etwa 80 Prozent der Bausubstanz der Stadt und machte vier Fünftel ihrer Einwohner obdachlos2. Er vernichtete auch einen großen Teil des kulturellen Erbes der Stadt, darunter das Residenzschloss, das Hessische Landesmuseum, die Mathildenhöhe und zahlreiche Kirchen und Denkmäler2.

Nachkriegszeit und Wiederaufbau

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand Darmstadt vor einer gewaltigen Herausforderung. Die Stadt war zu 80 Prozent zerstört, die Infrastruktur war zusammengebrochen, die Versorgungslage war katastrophal und die Bevölkerung war traumatisiert und verarmt1. Hinzu kamen Tausende von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, die in der Stadt eine neue Bleibe suchten2.

Die ersten Schritte des Wiederaufbaus bestanden darin, die Trümmer zu beseitigen, die Notunterkünfte zu errichten, die Verwaltung wiederherzustellen und die öffentliche Ordnung zu sichern1. Die Stadt wurde zunächst von der amerikanischen Militärregierung verwaltet, die auch den ersten Oberbürgermeister einsetzte1. Im Oktober 1946 fanden die ersten freien Kommunalwahlen statt, bei denen Ludwig Metzger von der SPD zum Oberbürgermeister gewählt wurde1. Er blieb bis 1964 im Amt und prägte maßgeblich den Wiederaufbau der Stadt1.

Der Wiederaufbau von Darmstadt folgte zwei grundsätzlichen Richtungen: einerseits der Rekonstruktion historischer Bauten und Ensembles, andererseits der Modernisierung und Neugestaltung der Stadtstruktur1. Die Rekonstruktion betraf vor allem das Residenzschloss, das Hessische Landesmuseum, die Mathildenhöhe und einige Kirchen1. Die Modernisierung umfasste den Bau neuer Wohnsiedlungen, Verkehrswege, Industriegebiete, Schulen, Krankenhäuser und Kultureinrichtungen1. Dabei orientierte sich die Stadtplanung an den Prinzipien der Charta von Athen, die eine funktionale Trennung von Wohnen, Arbeiten, Erholen und Verkehren vorsah1.

Der Wiederaufbau von Darmstadt war nicht nur eine technische und wirtschaftliche Aufgabe, sondern auch eine kulturelle und gesellschaftliche Herausforderung. Die Stadt wollte sich als eine moderne und weltoffene Stadt präsentieren, die aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hatte und einen Beitrag zum Frieden und zur Demokratie leisten wollte1. Dazu gehörte auch die Pflege internationaler Beziehungen, insbesondere mit den ehemaligen Kriegsgegnern. So wurde Darmstadt 1958 Partnerstadt von Brescia in Italien, 1962 von Alkmaar in den Niederlanden, 1966 von Troyes in Frankreich und 1975 von Liepāja in Lettland1.

Der Wiederaufbau von Darmstadt dauerte mehrere Jahrzehnte an und wurde nie ganz abgeschlossen. Immer wieder gab es Diskussionen über den Umgang mit dem historischen Erbe, den Bedürfnissen der Bevölkerung und den Anforderungen der Zeit. Der Wiederaufbau von Darmstadt war somit ein dynamischer Prozess, der die Stadt bis heute prägt.

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