Katastrophen der Menschheit: Explosion der „PIPER ALPHA“ am 06.07.1988

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Die Nacht, in der das Meer brannte

Es war ein normaler Arbeitstag auf der Ölplattform Piper Alpha in der Nordsee. Die 226 Männer an Bord waren damit beschäftigt, Öl und Gas aus dem Meeresboden zu fördern und durch eine Pipeline zum Festland zu transportieren. Die Piper Alpha war eine der größten und produktivsten Plattformen ihrer Zeit, sie lieferte fast ein Zehntel der gesamten Jahresproduktion fossiler Energien in Großbritannien. Doch hinter der glänzenden Fassade verbargen sich gravierende Sicherheitsmängel, die sich an diesem schicksalhaften 6. Juli 1988 als tödlich erweisen sollten.

Der Funke, der das Inferno auslöste

Alles begann mit einer routinemäßigen Wartung an einer der beiden Kondensatpumpen, die das Gas für den Pipeline-Transport verdichteten. Eine dieser Pumpen hatte ein defektes Überdruckventil, das ausgebaut und ersetzt werden musste. Doch die Arbeiten verzögerten sich, und die Schicht endete um 18 Uhr. Der Ingenieur, der das Ventil ausgebaut hatte, verschloss das Loch mit einer Stahlplatte und vermerkte in einem Wartungsbericht, dass die Pumpe nicht funktionstüchtig war. Er wollte den Bericht dem Aufseher der Nachtschicht übergeben, doch dieser war gerade beschäftigt. Also legte er den Bericht in einen Korb im Kontrollraum und ging von Bord.

Der Aufseher der Nachtschicht fand den Bericht nicht. Er hatte andere Sorgen:

Die andere Pumpe zeigte eine Fehlermeldung an und musste neu gestartet werden. Doch das gelang nicht. Der Gasfluss zum Festland drohte zu versiegen, ein unproduktiver Shutdown. Um das zu vermeiden, entschied sich der Aufseher, die Pumpe mit dem ausgebauten Ventil einzuschalten. Er ahnte nicht, dass er damit eine Katastrophe auslöste.

Als die Pumpe anlief, entwich das Gas durch das Loch in der Leitung und bildete eine riesige Wolke über der Plattform. Ein Funke genügte, um das Gas zu entzünden. Um 21:45 Uhr ereignete sich die erste Explosion, die den Kontrollraum zerstörte und alle Kommunikations- und Sicherheitssysteme lahmlegte. Die Männer an Bord hatten keine Ahnung, was passiert war oder was sie tun sollten. Einige versuchten, sich zu den Rettungsbooten oder den Hubschrauberlandeplätzen zu begeben, doch viele Wege waren durch Feuer und Trümmer versperrt. Andere blieben in ihren Quartieren und hofften auf Hilfe.

Die Hilfe kam nicht. Die benachbarten Plattformen Claymore und Tartan hatten zwar die Explosion bemerkt, aber keine direkte Verbindung zur Piper Alpha mehr. Sie wussten nicht, wie schlimm die Lage war oder ob sie ihre eigenen Leitungen abschalten sollten. Sie befürchteten, dass ein Shutdown ihrer eigenen Produktion weitere Probleme verursachen könnte. Also ließen sie das Öl und Gas weiter fließen, was die Situation auf der Piper Alpha noch verschlimmerte.

Die zweite Explosion

Um 22:08 Uhr kam es zur zweiten Explosion, als eine Leitung von der Claymore zur Piper Alpha brach und weitere Mengen von Öl und Gas freisetzte. Die Explosion war so heftig, dass sie auf dem Seismographen in Aberdeen registriert wurde. Die Piper Alpha stand nun lichterloh in Flammen, die Hitze war so intensiv, dass sie den Stahl zum Schmelzen brachte. Die Männer auf der Plattform hatten nur noch zwei Möglichkeiten: bleiben und verbrennen oder springen und ertrinken.

Viele entschieden sich für den Sprung ins Meer, obwohl sie wussten, dass es kaum eine Chance gab zu überleben. Das Wasser war eiskalt und voller brennender Trümmer. Die Rettungswesten waren oft defekt oder falsch angelegt. Die Rettungsboote waren entweder unerreichbar oder unbrauchbar.

Die Hubschrauber konnten sich der Plattform nicht nähern, weil die Flammen zu hoch schlugen. Die Rettungsschiffe, die zur Hilfe eilten, konnten nur wenige Überlebende bergen, bevor sie selbst in Gefahr gerieten.

Die dritte Explosion

Um 22:20 Uhr kam es zur dritten und letzten Explosion, als eine Leitung von der Tartan zur Piper Alpha brach und noch mehr Öl und Gas in das Inferno pumpte. Die Explosion war so gewaltig, dass sie die Plattform in zwei Teile riss und einen Feuerball erzeugte, der kilometerweit zu sehen war. Die Piper Alpha war nun endgültig zerstört, nur noch qualmende Überreste ragten aus dem Meer. Von den 226 Männern an Bord hatten nur 61 überlebt. 167 waren tot oder vermisst.

Die Folgen

Die Explosion der Piper Alpha war die schlimmste Katastrophe auf einer Bohrinsel in der Geschichte. Sie forderte nicht nur viele Menschenleben, sondern auch enorme wirtschaftliche und ökologische Schäden. Die Plattform war für mehrere Monate außer Betrieb, was zu einem Rückgang der Öl- und Gasproduktion in Großbritannien führte. Die Umwelt wurde durch die ausgetretenen Kohlenwasserstoffe verschmutzt, die das Meeresleben bedrohten.

Die Ursachen

Eine Untersuchungskommission unter der Leitung von Lord Cullen kam zu dem Ergebnis, dass die Katastrophe auf eine Reihe von Fehlern und Versäumnissen zurückzuführen war. Die Hauptverantwortung trug die Betreibergesellschaft Occidental Petroleum, die die Sicherheitsvorschriften vernachlässigt und die Wartungsarbeiten unzureichend dokumentiert hatte. Die Kommunikation zwischen den Schichten und den Plattformen war mangelhaft, die Notfallpläne waren unzureichend oder nicht bekannt. Die Plattform war zudem nicht für die Gasförderung ausgelegt, sondern nur für die Ölförderung. Die Leitungen hätten mit automatischen Ventilen ausgestattet werden müssen, um den Gasfluss im Falle eines Brandes zu stoppen.

Die Lehren

Die Katastrophe führte zu einer Reihe von Veränderungen in der Offshore-Industrie, um die Sicherheit und den Schutz der Arbeiter und der Umwelt zu verbessern. Die Regierung erließ neue Gesetze und Vorschriften, die strengere Anforderungen an das Design, den Betrieb und die Wartung von Bohrinseln stellten. Die Betreiber mussten regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen durchführen und Notfallpläne erstellen. Die Arbeiter wurden besser geschult und ausgerüstet, um im Falle eines Unfalls zu reagieren. Die Zusammenarbeit zwischen den Plattformen wurde verstärkt, um schneller Hilfe leisten zu können.

Die Erinnerung

Die Explosion der Piper Alpha hinterließ tiefe Spuren bei den Überlebenden, den Hinterbliebenen und der Öffentlichkeit. Viele litten unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen oder Schuldgefühlen. Einige nahmen sich das Leben oder starben an den Folgen ihrer Verletzungen. Andere kämpften für eine angemessene Entschädigung oder eine juristische Aufarbeitung des Falls.

Doch niemand wurde je für die Katastrophe zur Rechenschaft gezogen.

Heute steht ein Denkmal in Aberdeen, das an die Opfer erinnert. Jedes Jahr am 6. Juli findet eine Gedenkfeier statt, bei der die Namen der Toten verlesen werden. Die Explosion der Piper Alpha bleibt eine Mahnung an die Gefahren und Risiken der Offshore-Industrie, aber auch an den Mut und die Solidarität der Menschen, die dort arbeiten.

Quellen

1: Energiewinde: Explosion der Bohrinsel „Piper Alpha“ 1988: Die Nacht, in der das Meer brannte

2: 20 Minuten: Brennende Nordsee: Vor 30 Jahren explodierte die Piper Alpha

3: Wikipedia: Piper Alpha

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