Feuer über der Atlantikküste – Der Tanker „Polycommander“, der Ölteppich und die lange Narbe an Galiciens Strand 

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06.10.2025 

Es fällt mir nie leicht, über alte Umweltkatastrophen zu schreiben. Aber genau diese Geschichten müssen wir erzählen – ehrlich, ausführlich, ohne Ausflüchte. Der Unfall des norwegischen Tankers „Polycommander“ vor der galicischen Küste ist so eine Geschichte: Rauchfahnen, brennendes Wasser, schwarze Strände. Viele erinnern sich vage an „1969“ und Orte wie Santa María de Oia; tatsächlich passierte das Unglück in den frühen Morgenstunden des 5. Mai 1970 nahe den Cíes-Inseln, an der Mündung der Ría de Vigo. Dass es bis heute mit Küstenorten wie Baiona, Nigrán oder eben Oia verbunden wird, zeigt, wie tief sich die Bilder in die Region eingegraben haben – ein regionales Gedächtnis, das sich an Stränden und Geschichten festsetzt. Ich nehme euch mit durch die Chronik: was passiert ist, warum es passierte, wer handelte und was blieb. 

Hintergrund und Schauplatz an der Ría de Vigo und der Küste von Oia 

Wer die galicische Küste kennt, weiß: Hier ist der Atlantik kein Postkartenmotiv, sondern eine Kraft, die Menschen und Landschaft formt. Die Cíes-Inseln liegen wie ein natürlicher Wellenbrecher vor der Mündung der Ría de Vigo; zwischen Inseln und Festland zieht der Schiffsverkehr in und aus dem Hafen. Nicht zufällig werden Unfälle in dieser Zone auch mit umliegenden Ortschaften wie Nigrán, Baiona und Santa María de Oia erinnert – weil Öl nicht an Kartenrändern stoppt, sondern der Küstenlinie folgt. Genau hier setzte die „Polycommander“ an, nachdem sie – auf dem Weg von Sidon (Libanon) nach Donges (Frankreich) – die Route ändern musste, um eine erkrankte Frau in Vigo an Land zu bringen. Dieses Detail ist wichtig: Es zeigt, wie schnell aus einer humanen Notfallentscheidung die Nähe zu einem riskanten Küstenabschnitt entsteht. 

Die „Polycommander“ war ein 1965 gebauter norwegischer Öltanker, etwa 218 Meter lang, rund 29,6 Meter breit, mit einem Hauptmotor von 15.000 PS – ein Arbeitstier der damaligen Ölversorgung. Sie transportierte rund 49.400 Tonnen leichten arabischen Rohöls. Solche Schiffe sind für die offene See entworfen, nicht für enge Fahrwasser mit Felsenriffen und wechselnden Strömungen; Ein- und Ausfahrten in Küstenhäfen verlangen exakte Navigation, klare Kommunikation und oft die Unterstützung von Hafenlotsen. Was wie ein routiniertes Manöver klingt, kann bei einem Fehler binnen Minuten zur Katastrophe werden – und genau das geschah hier. 

Wenn man heute an die „Polycommander“ denkt, sieht man Fotos: Rauch, Flammen, Schlepper, die versuchen zu helfen, und Küstenabschnitte, über die sich ein schwarzer Film legte. In den Archiven ist von einem massiven Feuer die Rede, das vorübergehend sogar den Himmel über Küstenorten verdunkelte. Das ist kein dramatisches Bild, sondern die Beschreibung dessen, was die Menschen vor Ort erlebt haben. Deshalb wird dieser Unfall zu Recht als eine der schweren ökologischen Katastrophen der Ría de Vigo geführt – und als Mahnung, dass Sicherheit an Küsten nicht verhandelbar ist. 

Der Unfall und seine Ursachen: Grundberührung, Funken, Feuer 

Am 5. Mai 1970, gegen 04:20 Uhr, lief die „Polycommander“ nahe der Insel Monteagudo (Cíes) auf ein Riff. Ein Navigationsfehler beim Verlassen der Ría – und aus einer knappen Situation wurde eine Havarie mit Leck im Rumpf. Rohöl strömte aus. Nach damaligen Berichten war ein Funken (vermutlich aus der Abgasleitung eines vorbeifahrenden Fischerbootes) genug, um das ausgetretene Öl auf dem Wasser zu entzünden. Was danach geschah, ist ein Lehrbuchfall für die Verkettung von Risiken: brennende Ölflächen, Explosionen, Evakuierung der Besatzung. Alle 39 an Bord konnten sich in die Rettungsboote bringen – ein Glück im Unglück, das zeigt, dass zumindest die Notfallprozeduren griffen. 

In den Quellen ist die Navigation durch den Kanal zwischen den Cíes-Inseln und Cabo Home erwähnt, das nicht rechtzeitig erfolgte oder falsch ausgeführt wurde. Ein gerichtliches Nachspiel bewertete die Verantwortung: Kapitän und Erster Offizier erhielten kurze Haftstrafen und eine Geldstrafe; über den Hafenlotsen wurde ebenfalls diskutiert, aber er wurde nicht verurteilt. Hinter diesen juristischen Sätzen steht eine nüchterne Erkenntnis: Küstennavigation braucht klare, redundante Entscheidungswege. Wer je selbst nur bei Nebel an eine Landmarke geraten ist, kennt die Millimeterarbeit, die so eine Fahrt bedeutet. Im Maßstab eines 50.000-Tonnen-Tankers sind es eben keine Millimeter, sondern tonnenschwere Konsequenzen. 

Ein weiterer Punkt, der selten erwähnt wird, aber wirklich ins Auge springt: Der kurzfristige Umweg nach Vigo, um eine erkrankte Frau auszuschiffen, war eine humane Entscheidung, keine waghalsige. Doch jede Kursänderung, jedes zusätzliche Manöver erhöht die Komplexität. In der Summe aus Nähe zu Riffen, Kommunikationshürden, Strömung und Nachtbedingungen entsteht ein Fehlerfenster, das man nur mit Disziplin und Redundanz schließen kann. Genau hier, in diesem Fenster, passierte der Unfall – und wurde zur Umweltkatastrophe. 

Feuer, Ölteppich und Sofortmaßnahmen: 30 Stunden Kampf gegen die Flammen 

Mehr als 30 Stunden brannte die „Polycommander“ – Flammen, Explosionen, ein Kampf an Bord und von See aus. Die spanische Marine und Schlepper wurden eingesetzt; Löschschaum kam zum Einsatz, gleichzeitig versuchte man, den auf dem Wasser liegenden Ölfilm mit Dispergiermitteln aus Flugzeugen und von Schiffen zu behandeln. Schwimmende Kunststoffbarrieren (Booms), die eigentlich Öl zurückhalten sollen, erwiesen sich in dieser Situation als weitgehend wirkungslos: zu viel Hitze, zu viel Bewegung, zu viel offene Küste. Wer glaubt, man könne einen brennenden Ölteppich „einfach einhegen“, sieht hier, wie die Praxis aussah: ein permanenter Kompromiss zwischen Brandbekämpfung und Schadensbegrenzung auf dem Wasser. 

Die Bilder sind eindrücklich: Der Tanker brennt vom Heck bis zur Schiffsmitte, eine dichte Rauchsäule schiebt sich als „Schwarzfilm“ über die Küstenorte – Nigrán, Baiona, Playa América werden genannt. Das ist mehr als optische Belästigung; die flüchtigen Bestandteile und Verbrennungsprodukte lagern sich ab, in manchen Dörfern beschreiben Menschen eine klebrige Schicht auf Fenstern, Dächern, sogar auf Pflanzen. Gleichzeitig erreichen Teerklumpen und „patties“ die spanische Küste; etwa fünf Kilometer Küstenlinie werden als verschmutzt dokumentiert. Für die Helfer ist das ein doppelter Kampf: Löschen auf See, Reinigen an Land – und Schutz für Menschen, die plötzlich in kontaminierter Umgebung leben. 

Die Evakuierung der Besatzung gelang – eine Zahl, die mich persönlich immer kurz aufatmen lässt. Denn oft verschwinden Menschenleben hinter Umweltzahlen. Hier ist es wichtig, beides zu sehen: die Sicherheit der Crew und die große Umweltlast. Erst am 26. Juli 1970 wurde das Wrack gehoben, notdürftig abgedichtet und nach Piräus (Griechenland) geschleppt, wo die umfassende Reparatur erfolgte. Dass der Tanker nach kompletter Renovierung wieder in Dienst ging, ist ein nüchternes Nachwort dieser Ereignisse – die Region allerdings behielt die Narbe, und die Debatte über Notfallmaßnahmen, Löschmittel und Küstenschutz wurde nicht wieder „abgeschaltet“. 

Auswirkungen auf Umwelt, Tiere und Menschen: Was blieb nach dem schwarzen Film 

Ölkatastrophen sind mehrschichtig: ein Teil verbrennt, ein Teil verdunstet, ein Teil emulgiert, und ein Teil lagert sich als Teer an der Küste ab. In Galicien traf dieser Mix auf sensible Lebensräume: Felsküsten, Strände, Muschelbänke, Brutplätze von Seevögeln. Fünf Kilometer dokumentierte Verschmutzung scheinen klein, wenn man an gigantische „Super-Ölteppiche“ denkt; für lokale Ökosysteme ist das jedoch massiv. Teerklumpen überziehen Strandzonen, Invertebraten und juvenile Fische geraten in toxische Bedingungen, Seevögel verlieren durch Öl ihre Isolation und Thermoregulation. Was für die menschliche Wahrnehmung „nur“ Dreck ist, bedeutet für Tiere oft Lebensgefahr. 

Gleichzeitig wirkt Öl nicht nur auf Wasseroberflächen. Die Rauchfahne der „Polycommander“ trug flüchtige Bestandteile Richtung Land, wo sie sich als schwarzer Film niederschlugen – Fenster, Dächer, Felder. Das erzeugt kurzfristig Gesundheitsfragen (Atemluft, Augenreizungen), mittelfristig die Sorge um Kontamination von Böden und die Sicherheit lokaler Nahrungsressourcen. Für Fischer und Muschelzüchter ist so eine Phase existenziell: Wer zu früh wieder ins Wasser geht, riskiert toxische Lasten; wer zu lange wartet, verliert Einkommen. Das sind die Momente, in denen Umweltschutz und sozioökonomische Stabilität miteinander ringen – und in denen Behörden kluge, klare Kommunikation liefern müssen. 

Was oft unterschätzt wird, ist die psychologische Wirkung auf Küstengemeinden. Eine vertraute Bucht wird zur Gefahrenzone, vertraute Strände zum Reinigungsfeld. Kinder erinnern sich Jahre später an den Geruch, an das Kleben von Teer an Schuhen. Ich schreibe das, weil mit Zahlen allein – 15.000 Tonnen austretendes Öl, fünf Kilometer verschmutzt – die Wirklichkeit nicht erfasst ist. Die „Polycommander“ hat eine Region für Wochen geprägt, und wahrscheinlich die lokale Umweltpolitik für Jahre. Aus Katastrophen lernen heißt auch: die menschlichen Spuren ernstnehmen, nicht nur die chemischen. 

Aufarbeitung, Verantwortung und Lehren: Gerichtsurteile, Technik und Küstenstrategie 

Nach der Katastrophe kam das erwartbare juristische Nachspiel. Ein spanisches Gericht verurteilte Kapitän und Ersten Offizier zu kurzen Freiheitsstrafen und zur Zahlung von 21 Millionen Peseten; der Hafenlotse wurde diskutiert, aber nicht verurteilt. Parallel wurden die Schadenskosten in den 1970ern auf rund 480.000 US-Dollar beziffert – eine Zahl, die die direkten Schäden abbildet, aber die langfristigen Umweltfolgen nur unzureichend ausdrückt. In technischen Berichten wurde der Unfall dokumentiert: Grundberührung, Leck, Zündung des austretenden Öls durch externe Funken, mehrstündiges Feuer, Evakuierung und schließlich Bergung und Reparatur des Schiffes. 

Was haben wir gelernt? Erstens, dass Küstennavigation für große Tanker eine Null-Fehler-Toleranz braucht. Lotsenkommunikation, klare Manöverpunkte, redundante Entscheidungswege sind nicht „nice to have“, sondern Pflicht. Zweitens, dass Brandbekämpfung auf See und Ölbekämpfung auf Wasser nicht einfach miteinander harmonieren; Löschschaum, Dispergiermittel, Booms – jedes Mittel hat Grenzen, besonders bei Hitze und offener Küste. Drittens, dass Notfallentscheidungen (wie das Ausschiffen einer erkrankten Person) die Risikoarchitektur verändern – und Systeme darauf vorbereitet sein müssen. 

Viertens, dass die Kommunikation mit Küstengemeinden entscheidend ist. Wer die Luftqualität, Strandfreigaben und Fischerei-Fristen klar und faktisch kommuniziert, schützt Leben und Existenzen. Fünftens, dass Bergung und Reparatur zwar das Ende der Akutphase markieren, aber die Debatte über Prävention erst beginnen sollte: Routenführung, Training, Technik-Redundanz, klare Prozeduren bei Kursänderungen. In den Archiven taucht die „Polycommander“ in Übersichten weltweiter Ölunfälle der 1960er/70er auf – nicht die größte Katastrophe dieser Zeit, aber eine, die an einer exponierten Küste stattfand und deshalb in der regionalen Erinnerung stark ist. 

Lokale Erinnerung und heutige Perspektive: Warum Oia, Nigrán und Baiona die Narbe kennen 

Warum wird der Unfall oft mit Orten wie Santa María de Oia verbunden, obwohl die Grundberührung bei den Cíes-Inseln passierte? Weil Öl sich entlang der Küste bewegt und Erinnerungen sich entlang der Lebenswege der Menschen verorten. Wer in Oia lebte und die schwarze Schicht an Fenstern sah, wer in Nigrán den Rauch spürte, wer in Baiona am Strand Teer sammelte, der verknüpft das Geschehen mit dem eigenen Ort. So entstehen regionale Karten der Erinnerung – nicht deckungsgleich mit der Nautik, aber deckungsgleich mit dem Leben. 

Heute schauen wir anders auf solche Unfälle. Es gibt bessere Aufklärung über Dispergiermittel, stärkere Küstenwachen, klarere Notfallpläne. Dennoch bleibt die Lehre der „Polycommander“ aktuell: Bei Kursänderungen, Hafenanläufen und Ausfahrten muss die Sicherheitslinie doppelt gezogen werden – technisch und kommunikativ. Die Region um die Ría de Vigo lebt mit dem Meer, und wer mit dem Meer lebt, weiß: Man kann es nicht beherrschen, aber man kann ihm mit Respekt begegnen. Das gilt für Freizeitboote genauso wie für Tanker. 

Wenn ich diese Geschichte heute schreibe, geht es mir nicht um Nostalgie. Es geht darum, dass jeder Ölunfall nicht nur ein „Fall“ ist, sondern ein Kapitel in der Beziehung zwischen Menschen und Küste. Für Oia, Nigrán, Baiona und Vigo ist die „Polycommander“ eines dieser Kapitel. Und die Narbe erinnert daran, dass eine Entscheidung auf See – ein Grad, ein Manöver, ein Funken – an Land ein ganzes Leben berühren kann. 

Quellenangaben 

 

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