Katastrophen der Menschheit:  Große Hungerkatastrophe im Libanon 1915 – 1918

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Große Hungerkatastrophe im Libanon 1915 – 1918

Die große Hungerkatastrophe im Libanon 1915 – 1918 war eine der verheerendsten humanitären Krisen des Ersten Weltkriegs, die etwa 200.000 Menschen das Leben kostete, die meisten davon Christen. Sie ereignete sich in der damaligen osmanischen Provinz Libanonberg, die heute zum modernen Libanon gehört. Sie wurde durch die Kriegshandlungen, die Seeblockade der Entente-Mächte, die Beschlagnahmung von Nahrungsmitteln durch die türkischen und deutschen Truppen und die Heuschreckenplage verursacht und verschlimmert. Die Hungersnot führte zu massiven sozialen und politischen Unruhen im Land und prägte das nationale Bewusstsein und die Identität der libanesischen Bevölkerung.

Hintergrund

Der Libanonberg war seit dem 16. Jahrhundert Teil des Osmanischen Reiches, genoss aber seit dem Jahr 1860 eine gewisse Autonomie unter einem christlichen Gouverneur, der vom Sultan ernannt wurde. Die Provinz war ein Zufluchtsort für verschiedene religiöse Minderheiten, vor allem für die Maroniten, eine katholische Kirche mit syrischen Wurzeln. Die Provinz hatte auch enge kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen zu Frankreich, das sich als Schutzmacht der Christen im Nahen Osten sah.

Der Libanonberg war eine fruchtbare und wohlhabende Region, die vor allem von Weinbau, Seidenraupenzucht und Handel lebte. Die Landwirtschaft war jedoch stark spezialisiert und auf den Export ausgerichtet, während Grundnahrungsmittel wie Getreide oder Reis importiert werden mussten. Die Bevölkerung war ethnisch und religiös vielfältig und bestand aus Maroniten, Griechisch-Orthodoxen, Drusen, Schiiten, Sunniten und anderen Gruppen.

Der Erste Weltkrieg brachte dem Libanonberg große Veränderungen und Herausforderungen. Das Osmanische Reich trat 1914 auf der Seite der Mittelmächte in den Krieg ein und wurde zum Feind der Entente-Mächte, zu denen Frankreich und Großbritannien gehörten. Die Entente-Mächte verhängten eine Seeblockade über die osmanische Küste, um den Nachschub an Waffen, Munition und Lebensmitteln zu unterbinden. Die osmanische Regierung reagierte mit einer Politik der Türkisierung und Islamisierung, die die Rechte und Freiheiten der nicht-türkischen und nicht-muslimischen Bevölkerung einschränkte oder abschaffte.

Im Jahr 1915 begannen die türkischen und deutschen Truppen, den Libanonberg militärisch zu besetzen, um ihn gegen einen möglichen Angriff der Entente-Mächte zu verteidigen. Die Besatzer stellten hohe Steuern und Abgaben an die Bevölkerung und beschlagnahmten große Mengen an Nahrungsmitteln für ihre eigenen Bedürfnisse oder für den Export nach Anatolien oder Deutschland. Die Besatzer misshandelten auch die Bevölkerung mit Gewalt und Willkür und verübten Massaker an den Armeniern, die vor dem Völkermord im Osmanischen Reich geflohen waren.

Verlauf

Die Hungersnot begann im Jahr 1915 und erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 1916. Sie betraf vor allem die ländlichen Gebiete des Libanonbergs, wo die meisten Menschen von der Landwirtschaft abhängig waren. Die Menschen litten unter Hunger, Durst, Krankheiten und Entkräftung. Viele starben in ihren Häusern oder auf den Straßen, andere wanderten in die Städte oder zu den Grenzen, um Nahrung oder Hilfe zu suchen. Die Städte waren jedoch ebenfalls überfüllt und von der Hungersnot betroffen. Die humanitäre Hilfe war knapp und unzureichend. Die Entente-Mächte konnten nur sporadisch und begrenzt Hilfe leisten, da sie die Seeblockade nicht aufheben wollten. Die osmanischen Behörden leisteten kaum oder gar keine Hilfe, da sie die Hungersnot als eine Möglichkeit sahen, die christliche Bevölkerung zu dezimieren oder zu unterwerfen.

Die Hungersnot führte auch zu sozialen und politischen Unruhen im Libanonberg. Viele Menschen rebellierten gegen die Besatzer oder die osmanische Regierung, die sie für ihre Misere verantwortlich machten. Es kam zu Aufständen, Plünderungen, Banditentum und Gewalt. Einige Gruppen versuchten, die nationale Einheit und Unabhängigkeit des Libanonbergs zu verteidigen oder zu erlangen, wie die Maronitische Liga oder die Syrische Kommission. Andere Gruppen schlossen sich den Besatzern an oder kämpften gegeneinander um die Macht oder die Ressourcen.

Die Hungersnot endete im Jahr 1918, als der Erste Weltkrieg zu Ende ging und die Besatzer sich aus dem Libanonberg zurückzogen. Die osmanische Regierung wurde durch die Jungtürkische Revolution gestürzt und das Osmanische Reich wurde durch den Vertrag von Sèvres zerschlagen. Der Libanonberg wurde unter französisches Mandat gestellt, das bis 1943 dauerte. Die Franzosen erweiterten das Gebiet des Libanonbergs um andere Regionen, die heute zum modernen Libanon gehören, wie Beirut, Tripoli, Sidon oder den Bekaa.

Folgen

Die Hungersnot hinterließ tiefe Spuren in der Geschichte und im Gedächtnis des Libanon. Sie gilt als eine der größten Tragödien des Landes, die Hunderttausende von Menschen das Leben kostete und das Land an den Rand des Zusammenbruchs brachte. Die genaue Zahl der Opfer ist schwer zu ermitteln, da es keine zuverlässigen Volkszählungen oder Statistiken gab. Die Schätzungen variieren zwischen 100.000 und 300.000 Toten1, was etwa 25% bis 50% der damaligen Bevölkerung entsprach. Die Hungersnot hatte auch langfristige Auswirkungen auf die Demographie, die Wirtschaft, die Gesellschaft und die Kultur des Landes.

Die Hungersnot war auch ein Wendepunkt in der politischen Entwicklung des Libanon. Sie offenbarte die Schwäche und Unfähigkeit der osmanischen Regierung, das Land zu regieren und zu schützen. Sie zeigte auch die Brutalität und Gier der ausländischen Mächte, die das Land ausbeuteten und unterdrückten. Sie weckte das nationale Bewusstsein und den Widerstandswillen der libanesischen Bevölkerung, die nach Freiheit und Unabhängigkeit strebte. Sie bereitete den Weg für den Aufstieg einer neuen politischen Elite, die das Land reformieren und modernisieren wollte.

Die Hungersnot ist jedoch ein wenig erforschtes und wenig bekanntes Thema in der modernen Geschichte. Sie wird oft ignoriert oder verharmlost von den westlichen Medien und Schulbüchern, die sie als eine Folge des Krieges oder der Naturkatastrophen darstellen. Im Libanon wird sie hingegen als ein Völkermord angesehen, der von den Imperialisten verursacht wurde. Sie ist ein Symbol für das Leiden und den Kampf des libanesischen Volkes für seine Würde und Souveränität.

Quellen

1: Hungersnot im Libanon 1916–1918 – Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Hungersnot_im_Libanon_1916%E2%80%931918)

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