Vergessene Genozide – Belagerung von Sarajevo: Ein dunkles Kapitel im Bosnienkrieg

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Genozide sind die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die je begangen wurden. Sie zeugen von Hass, Intoleranz und Grausamkeit gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen, die aufgrund ihrer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Zugehörigkeit verfolgt und vernichtet werden sollen. Doch nicht alle Genozide sind gleich bekannt oder anerkannt. Viele von ihnen sind vergessen oder verdrängt worden, sowohl von den Tätern als auch von der Weltöffentlichkeit. In dieser Artikelreihe wollen wir einige dieser vergessenen Genozide vorstellen und ihre Ursachen, Folgen und Aufarbeitung beleuchten.

Sarajevo, die Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina, war einst eine Stadt der Vielfalt und des Friedens. Im Jahr 1984 war sie Schauplatz der Olympischen Winterspiele und wurde für ihre kulturelle und religiöse Mischung gefeiert. Doch nur wenige Jahre später wurde sie zum Schauplatz eines der blutigsten Konflikte in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg: dem Bosnienkrieg.

Der Bosnienkrieg begann im April 1992, nachdem Bosnien und Herzegowina seine Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärt hatte. Die bosnischen Serben, die den Verbleib bei Jugoslawien befürworteten, lehnten die Abspaltung ab und begannen mit Unterstützung der jugoslawischen Armee einen Krieg gegen die bosnische Regierung, die vor allem von den bosnischen Muslimen und den bosnischen Kroaten unterstützt wurde. Der Krieg war geprägt von ethnischer Säuberung, Massakern, Vergewaltigungen und Vertreibungen.

Eines der zentralen Ereignisse im Bosnienkrieg war die Belagerung von Sarajevo, die am 5. April 1992 begann und bis zum 29. Februar 1996 andauerte. Sie war mit 1.425 Tagen die längste Belagerung einer Stadt im 20. Jahrhundert1. Die bosnisch-serbischen Truppen umzingelten die Stadt von allen Seiten und schnitten sie von der Außenwelt ab. Sie beschossen die Stadt mit Artillerie, Mörsern, Panzern und Scharfschützen. Sie töteten, verwundeten und terrorisierten die Zivilbevölkerung, die in ständiger Angst vor dem nächsten Angriff lebte.

Die Belagerung von Sarajevo forderte nach Schätzungen etwa 11.000 Todesopfer, darunter 1.600 Kinder1. Zu den bekanntesten Opfern gehören Suada Dilberović und Olga Sučić, die am 5. April 1992 bei einer Friedensdemonstration auf einer Brücke erschossen wurden1. Die Brücke trägt heute ihren Namen. Ein weiteres Symbol des Leidens ist der Cellist Vedran Smajlović, der an verschiedenen Orten in der Stadt Musik spielte, um den Toten zu gedenken und den Lebenden Mut zu machen2.

Zu den schlimmsten Massakern während der Belagerung gehören die beiden Angriffe auf den Markale-Markt im Zentrum von Sarajevo. Am 5. Februar 1994 explodierte eine Mörsergranate auf dem belebten Markt und tötete 68 Menschen und verletzte mehr als 1403. Am 28. August 1995 traf eine weitere Granate den Markt und tötete 43 Menschen und verletzte mehr als 753. Beide Male wurden die bosnisch-serbischen Truppen für die Angriffe verantwortlich gemacht, obwohl sie dies bestritten.

Die Belagerung von Sarajevo endete schließlich durch das Eingreifen der NATO, die nach dem zweiten Markale-Massaker eine Luftoffensive gegen die bosnisch-serbischen Stellungen startete1. Dies führte zu den Friedensverhandlungen von Dayton im November 1995, die den Bosnienkrieg beendeten und Bosnien und Herzegowina in zwei Entitäten teilten: die Föderation Bosnien und Herzegowina (vorwiegend von Bosniaken und Kroaten bewohnt) und die Republika Srpska (vorwiegend von Serben bewohnt).

Die Belagerung von Sarajevo hat tiefe Narben in der Stadt und in ihren Bewohnern hinterlassen. Noch heute sind viele Gebäude zerstört oder mit Einschusslöchern übersät. Viele Menschen leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen oder Armut. Die ethnischen Spannungen sind immer noch spürbar, vor allem in Bezug auf die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen. Die Stadt versucht jedoch, sich von ihrer dunklen Vergangenheit zu erholen und ihre multikulturelle Identität zu bewahren. Sarajevo ist eine Stadt, die nicht vergessen werden darf.

Quellen

  • Al Jazeera. (2012). Sarajevo: The Siege [Dokumentarfilm]. Al Jazeera Media Network.

  • BBC News. (2012, 6. April). Sarajevo siege: 20 years on [Nachrichtenartikel]. BBC.

  • Donia, R. J. (2006). Sarajevo: A Biography. University of Michigan Press.

  • Gagnon, V. P. (2004). The Myth of Ethnic War: Serbia and Croatia in the 1990s. Cornell University Press.

  • Judah, T. (2000). The Serbs: History, Myth and the Destruction of Yugoslavia. Yale University Press.

  • Kurspahić, K. (2003). Prime Time Crime: Balkan Media in War and Peace. United States Institute of Peace Press.

  • Sacco, J. (2000). Safe Area Goražde: The War in Eastern Bosnia 1992–1995. Fantagraphics Books.

  • Silber, L., & Little, A. (1997). Yugoslavia: Death of a Nation. Penguin Books.

  • Smajlović, V., & Purvis, E. (2018). The Cellist of Sarajevo: A Memoir of Music, Survival and the Siege of Sarajevo. Bloomsbury Publishing.

  • UNHCR. (1999). The State of the World’s Refugees 1999: A Humanitarian Agenda [Bericht]. Oxford University Press.

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