Katastrophen der Menschheit: Brand des Grenfell-Towers in London vom 14.06.2017

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Es war eine der schlimmsten Feuerkatastrophen in der Geschichte Großbritanniens: In der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 2017 brannte das 24-stöckige Wohnhochhaus Grenfell Tower im Stadtviertel North Kensington im Westen Londons fast vollständig aus. 72 Menschen kamen dabei ums Leben, viele weitere wurden verletzt oder verloren ihr Zuhause. Der Brand löste eine Welle der Trauer, der Wut und der Solidarität aus, die bis heute anhält. Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen? Was waren die Ursachen und die Folgen? Und was wurde getan, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und ähnliche Katastrophen zu vermeiden?

Der Hergang des Brandes

Der Brand brach gegen 0:54 Uhr Ortszeit im vierten Stock des Grenfell Tower aus, in der Küche einer Wohnung, in der ein defekter Kühlschrank explodierte. Der Bewohner der Wohnung alarmierte die Feuerwehr und versuchte, seine Nachbarn zu warnen. Die ersten Einsatzkräfte trafen um 1:01 Uhr am Ort des Geschehens ein und begannen mit den Löscharbeiten. Zu diesem Zeitpunkt war das Feuer noch auf die Wohnung beschränkt.

Doch innerhalb weniger Minuten breitete sich das Feuer über die Fassade des Gebäudes aus, die bei einer Renovierung im Jahr 2016 mit einem wärmedämmenden Material verkleidet worden war, das sich als hochentzündlich herausstellte. Die Flammen schossen von Stockwerk zu Stockwerk und umschlossen das gesamte Hochhaus wie eine Fackel. Die Bewohner, die sich noch in ihren Wohnungen befanden, waren eingeschlossen und hatten kaum eine Chance zu entkommen. Viele von ihnen riefen verzweifelt aus den Fenstern um Hilfe oder versuchten, sich mit Bettlaken oder anderen Gegenständen abzuseilen. Einige sprangen in ihrer Todesangst aus dem Fenster.

Die Feuerwehr hatte große Schwierigkeiten, das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Die Löschwasserversorgung war unzureichend, die Drehleitern reichten nicht bis zu den oberen Stockwerken und die Atemschutzgeräte waren knapp. Zudem gab es keine zentrale Brandmeldeanlage oder Sprinkleranlage im Gebäude. Die Feuerwehrleute mussten sich durch den dichten Rauch und die Hitze kämpfen, um zu den Opfern vorzudringen. Viele von ihnen riskierten dabei ihr eigenes Leben.

Die Feuerwehr gab den Bewohnern zunächst die Anweisung, in ihren Wohnungen zu bleiben (stay-put-Regel), da sie davon ausging, dass das Gebäude einen ausreichenden baulichen Brandschutz hatte und dass eine Evakuierung zu gefährlich wäre. Diese Anweisung wurde erst um 2:47 Uhr widerrufen, als das Feuer bereits außer Kontrolle geraten war. Für viele Bewohner kam diese Änderung jedoch zu spät.

Das Feuer wütete bis zum nächsten Morgen und konnte erst nach mehr als 24 Stunden vollständig gelöscht werden. Die Bilanz war verheerend: Von den 129 Wohnungen im Grenfell Tower waren nur 23 nicht vom Feuer betroffen. Von den etwa 600 Bewohnern starben 72, darunter 18 Kinder. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Hunderte von Menschen wurden obdachlos und mussten in Notunterkünften oder bei Verwandten und Freunden unterkommen.

Die Ursachen und die Folgen des Brandes

Der Brand im Grenfell Tower war nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern auch ein politischer Skandal. Er offenbarte die gravierenden Mängel in der Wohnungspolitik, im Brandschutz und in der sozialen Gerechtigkeit in Großbritannien. Er zeigte, wie die Bewohner eines Sozialwohnungsobjekts jahrelang ignoriert, vernachlässigt und diskriminiert wurden. Er stellte die Frage, wie es möglich war, dass ein Gebäude, das erst ein Jahr zuvor für 10 Millionen Pfund renoviert worden war, so schnell in Flammen aufgehen konnte.

Die Untersuchungen ergaben, dass der Brand vor allem durch die Fassadenverkleidung verursacht wurde, die aus einem Aluminium-Verbundmaterial (ACM) bestand, das einen brennbaren Kunststoffkern hatte.

Dieses Material war billiger als andere Alternativen und sollte das Aussehen des Gebäudes verbessern. Es entsprach jedoch nicht den Brandschutzvorschriften und war für Hochhäuser nicht geeignet. Die Fassadenverkleidung wirkte wie ein Schornstein und beschleunigte die Ausbreitung des Feuers. Zudem gab es Lücken zwischen den Paneelen und der Wand, die als Luftkanäle dienten und das Feuer anfachten.

Die Fassadenverkleidung war jedoch nicht der einzige Faktor, der zu dem Brand beitrug. Es gab auch andere Mängel in der Konstruktion und in der Wartung des Gebäudes, die die Sicherheit der Bewohner gefährdeten. Dazu gehörten:

  • Die fehlende oder defekte Brandmeldeanlage oder Sprinkleranlage, die den Brand frühzeitig hätte erkennen und eindämmen können.

  • Die fehlende oder unzureichende Löschwasserversorgung, die die Löscharbeiten erschwerte.

  • Die fehlende oder unzureichende Isolierung der Gasleitungen, die das Risiko einer Explosion erhöhte.

  • Die fehlende oder unzureichende Brandschutztüren, die das Eindringen von Rauch und Feuer in die Wohnungen verhindert hätten.

  • Die fehlende oder unzureichende Belüftung der Treppenhäuser, die als Fluchtwege dienen sollten.

  • Die fehlende oder unzureichende Beschilderung der Fluchtwege, die die Orientierung der Bewohner erleichtert hätte.

  • Die fehlende oder unzureichende Kommunikation zwischen den Einsatzkräften und den Bewohnern, die eine effektive Evakuierung ermöglicht hätte.

All diese Mängel waren den Behörden, den Eigentümern und den Hausverwaltern des Grenfell Tower bekannt oder hätten bekannt sein müssen. Die Bewohner hatten mehrmals auf die Sicherheitsprobleme hingewiesen und um Abhilfe gebeten. Sie wurden jedoch ignoriert oder abgewiesen. Eine Bewohnergruppe namens Grenfell Action Group hatte sogar vor einem möglichen Großbrand gewarnt und einen Blog geführt, in dem sie ihre Beschwerden dokumentierte. Sie wurde jedoch als lästig und rebellisch angesehen.

Der Brand im Grenfell Tower war also kein Zufall, sondern das Ergebnis einer Kette von Versäumnissen, Fehlentscheidungen und Missachtungen, die auf Kosten der Leben und der Würde der Bewohner gingen. Er war ein Symptom einer tieferen Krise in der britischen Gesellschaft, in der es große soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten gibt. Der Grenfell Tower stand in einem der reichsten Bezirke Londons, in dem es jedoch auch viele arme und benachteiligte Menschen gibt. Die Bewohner des Grenfell Tower waren zum Großteil Migranten oder Angehörige ethnischer Minderheiten. Sie fühlten sich von den Behörden und von der Öffentlichkeit im Stich gelassen.

Der Brand im Grenfell Tower löste daher nicht nur Trauer, sondern auch Wut aus. Viele Menschen protestierten gegen die Regierung und forderten Gerechtigkeit für die Opfer. Sie kritisierten die mangelnde Unterstützung für die Überlebenden und die schleppende Aufklärung des Brandes. Sie forderten eine unabhängige Untersuchungskommission und eine strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen. Sie forderten auch eine Verbesserung der Wohnbedingungen und des Brandschutzes für alle Menschen in Großbritannien.

Der Brand im Grenfell Tower löste aber auch Solidarität aus. Viele Menschen spendeten Geld, Kleidung, Lebensmittel oder andere Hilfsgüter für die Überlebenden.

Viele Menschen boten ihnen Unterkunft, Trost oder andere Unterstützung an. Viele Menschen nahmen an Gedenkveranstaltungen, Mahnwachen oder Schweigeminuten teil. Viele Menschen drückten ihre Anteilnahme, ihr Mitgefühl oder ihre Solidarität aus. Viele Menschen schrieben Botschaften, legten Blumen oder zündeten Kerzen an. Viele Menschen sangen Lieder, malten Bilder oder schrieben Gedichte. Viele Menschen wollten den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer zeigen, dass sie nicht allein waren.

Die Aufklärung und die Konsequenzen des Brandes

Der Brand im Grenfell Tower war ein Wendepunkt in der britischen Geschichte. Er führte zu einer Reihe von Untersuchungen, Reformen und Maßnahmen, die die Ursachen und die Folgen des Brandes aufklären und vermeiden sollten. Dazu gehörten:

  • Die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Sir Martin Moore-Bick, einem ehemaligen Richter am Berufungsgericht. Die Kommission sollte die Fakten des Brandes ermitteln, die Handlungen der Behörden und der Einsatzkräfte bewerten und Empfehlungen für die Zukunft aussprechen. Die Kommission begann ihre Arbeit im September 2017 und veröffentlichte ihren ersten Bericht im Oktober 2019. Der erste Bericht konzentrierte sich auf den Hergang des Brandes und die Reaktion der Feuerwehr.

  • Er stellte fest, dass der Brand durch die Fassadenverkleidung verursacht wurde, dass die stay-put-Regel eine schwerwiegende Fehlentscheidung war und dass die Feuerwehrleute zwar mutig und engagiert waren, aber auch unvorbereitet und überfordert waren. Der zweite Bericht sollte sich auf die Ursachen des Brandes und die Rolle der Behörden und der Hausverwalter konzentrieren. Er wurde jedoch durch die COVID-19-Pandemie verzögert und sollte erst im Jahr 2022 fertiggestellt werden.

  • Die Einleitung einer strafrechtlichen Ermittlung durch die Metropolitan Police, die mögliche Verstöße gegen das Gesundheits- und Sicherheitsrecht, das Baurecht oder das Tötungsdelikt untersuchen sollte. Die Ermittlung sollte mehr als 600 Personen oder Organisationen als potenzielle Verdächtige identifizieren, darunter die Eigentümer des Grenfell Tower, die Royal Borough of Kensington and Chelsea (RBKC), die Hausverwalterfirma Kensington and Chelsea Tenant Management Organisation (KCTMO), die Bauunternehmen Rydon und Harley Facades, die Hersteller der Fassadenverkleidung Arconic und Celotex sowie verschiedene Behördenmitarbeiter, Architekten, Ingenieure und Berater. Die Ermittlung sollte jedoch erst nach Abschluss der Untersuchungskommission abgeschlossen werden, was bedeutete, dass eine mögliche Anklageerhebung noch Jahre dauern könnte.

  • Die Durchführung einer unabhängigen Überprüfung des baulichen Brandschutzes unter der Leitung von Dame Judith Hackitt, einer ehemaligen Vorsitzenden der Gesundheits- und Sicherheitsbehörde. Die Überprüfung sollte das bestehende Brandschutzsystem analysieren und Verbesserungsvorschläge machen. Die Überprüfung veröffentlichte ihren Abschlussbericht im Mai 2018.

  • Der Bericht stellte fest, dass das Brandschutzsystem “nicht angemessen” war und “eine grundlegende Reform” benötigte. Er empfahl eine Reihe von Maßnahmen, wie zum Beispiel eine klarere Zuweisung von Verantwortlichkeiten, eine stärkere Beteiligung der Bewohner, eine bessere Qualitätskontrolle, eine strengere Regulierung und eine höhere Durchsetzung.

  • Die Umsetzung einer Reihe von Reformen und Maßnahmen durch die Regierung, das Parlament oder andere Institutionen, um den Brandschutz zu verbessern und die Wohnbedingungen zu erhöhen. Dazu gehörten zum

  • Beispiel:

    • Das Verbot von brennbaren Materialien an den Fassaden von Hochhäusern über 18 Meter Höhe.

    • Die Schaffung eines neuen Gebäudesicherheitsgesetzes, das ein neues Gebäudesicherheitsregime einführen sollte, das die Sicherheit von Hochrisikogebäuden gewährleisten sollte.

    • Die Einrichtung eines neuen Gebäudesicherheitsfonds, der die Kosten für die Entfernung und den Ersatz von unsicheren Fassadenverkleidungen an Hochhäusern übernehmen sollte.

    • Die Erhöhung der Mittel für die Feuerwehr, um ihre Ausrüstung, ihre Ausbildung und ihre Kapazität zu verbessern.

    • Die Verbesserung der Unterstützung für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer, um ihnen eine angemessene Unterkunft, eine psychologische Betreuung und eine finanzielle Entschädigung zu bieten.

    • Die Stärkung der Rechte und der Stimme der Bewohner von Sozialwohnungen, um ihnen mehr Mitsprache, mehr Schutz und mehr Beschwerdemöglichkeiten zu geben.

Der Brand im Grenfell Tower war eine der schlimmsten Katastrophen der Menschheit in der jüngeren Vergangenheit. Er war ein Schock, ein Trauma und ein Weckruf für die britische Gesellschaft. Er forderte viele Leben, viele Verletzungen und viele Leiden. Er offenbarte viele Probleme, viele Fehler und viele Ungerechtigkeiten. Er löste viele Emotionen, viele Proteste und viele Veränderungen aus. Er hinterließ viele Narben, viele Fragen und viele Hoffnungen. Er wird nie vergessen werden.

Quellen:

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