Seveso 1976 – Die Dioxinkatastrophe, die Europa veränderte
06.10.2025
Einleitung
Am 10. Juli 1976 kam es in der norditalienischen Gemeinde Meda, nahe Seveso in der Lombardei, zu einem folgenschweren Chemieunfall. Aus der Fabrik Icmesa, einer Tochterfirma von Givaudan (damals Teil des Roche-Konzerns), entwich eine hochgiftige Wolke mit Dioxin (2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin, kurz TCDD). Das Ereignis gilt bis heute als einer der schwersten Chemieunfälle Europas und führte zu weitreichenden politischen, rechtlichen und ökologischen Konsequenzen.
Der Unfallhergang
In der Fabrik wurde Trichlorphenol (TCP) hergestellt, ein Vorprodukt für Desinfektionsmittel. Während des Produktionsprozesses kam es zu einer unkontrollierten Temperatur- und Drucksteigerung in einem Reaktor. Das Rührwerk war abgeschaltet, wodurch sich die Hitze im Kessel stauen konnte. Gegen Mittag öffnete sich ein Sicherheitsventil, und eine Dioxin-haltige Wolke trat aus.
Die Menge des freigesetzten TCDD wird auf mehrere Kilogramm geschätzt. Das Gift verteilte sich über eine Fläche von rund 320 Hektar, die umliegende Gemeinden wie Seveso, Meda, Cesano Maderno und Desio betraf.
Auswirkungen auf Umwelt, Tiere und Menschen
Die Folgen waren unmittelbar sichtbar: Pflanzen verdorrten, Nutztiere starben, und bei Kindern traten Hautveränderungen in Form von Chlorakne auf. Rund 37.000 Menschen waren potenziell betroffen. Besonders stark belastete Gebiete wurden als „Zone A“ klassifiziert. Dort mussten etwa 700 Menschen evakuiert werden. In angrenzenden Bereichen („Zone B“) wurden landwirtschaftliche Produkte vernichtet und Tiere getötet, um eine Ausbreitung über die Nahrungskette zu verhindern.
Die Böden waren stark kontaminiert. Teile mussten abgetragen und entsorgt werden. Luft- und Bodenmessungen belegten die hohe Belastung. Die Sanierung zog sich über Jahre hin.
Behördenreaktion und Krisenmanagement
Die Behörden reagierten zunächst zögerlich. Erst eine Woche nach dem Unfall wurde die Fabrik geschlossen. Die Evakuierungen begannen ebenfalls mit Verzögerung. Insgesamt wurden drei Zonen eingerichtet, abgestuft nach Belastung. In Zone A erfolgte die vollständige Evakuierung, in Zone B galten strenge Einschränkungen, Zone C wurde überwacht.
Neben der Evakuierung wurden umfangreiche Dekontaminationsmaßnahmen durchgeführt: Böden wurden abgetragen, Gebäude gereinigt, Vegetation entfernt. Parallel dazu starteten medizinische Untersuchungen und Langzeitstudien, um die gesundheitlichen Folgen zu dokumentieren.
Politische und rechtliche Konsequenzen
Die Katastrophe von Seveso führte direkt zur Entwicklung der sogenannten Seveso-Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft. Diese Richtlinien verpflichten Betreiber von Anlagen mit gefährlichen Stoffen zu umfassenden Sicherheitsmaßnahmen, Risikoanalysen und Notfallplänen.
Die erste Seveso-Richtlinie trat 1982 in Kraft. Sie wurde später mehrfach überarbeitet und erweitert (Seveso II, Seveso III). Heute regelt die Richtlinie 2012/18/EU europaweit den Umgang mit gefährlichen Stoffen und schreibt Transparenz sowie Öffentlichkeitsbeteiligung vor.
Langzeitfolgen und Erinnerung
Die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung wurden über Jahrzehnte hinweg untersucht. Neben akuten Hauterkrankungen standen mögliche Langzeitrisiken wie Krebs oder Störungen des Immunsystems im Fokus. Wissenschaftliche Studien begleiten die betroffenen Menschen bis heute.
Das Gebiet wurde saniert und teilweise rekultiviert. In Seveso entstand ein Park auf dem Gelände der ehemaligen Zone A. Damit wurde ein sichtbares Zeichen gesetzt, dass aus einer Katastrophe auch ein Ort des Gedenkens und Lernens entstehen kann.
Quellen
- Sevesounglück – Wikipedia
- WELT: „Seveso 1976: Als der Nebel des Grauens Wirklichkeit wurde“
- wissen.de: „40 Jahre Seveso-Unglück: Giftwolke über Italien“
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