Vergessene Genozide – Das Massaker von Foča im Jugoslawienkrieg

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Genozide sind die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die je begangen wurden. Sie zeugen von Hass, Intoleranz und Grausamkeit gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen, die aufgrund ihrer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Zugehörigkeit verfolgt und vernichtet werden sollen. Doch nicht alle Genozide sind gleich bekannt oder anerkannt. Viele von ihnen sind vergessen oder verdrängt worden, sowohl von den Tätern als auch von der Weltöffentlichkeit. In dieser Artikelreihe wollen wir einige dieser vergessenen Genozide vorstellen und ihre Ursachen, Folgen und Aufarbeitung beleuchten.

Das Massaker von Foča im Jugoslawienkrieg war eines der schlimmsten Kriegsverbrechen, die während des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien begangen wurden. Es handelte sich um eine systematische und gezielte Tötung von mehr als 9000 Bosniaken, die meisten von ihnen Zivilisten, durch serbische Nationalisten im Jahr 1992. In diesem Artikel werden wir die Hintergründe, den Ablauf und die Folgen dieses grausamen Ereignisses beschreiben.

Hintergründe

Das ehemalige Jugoslawien war ein Vielvölkerstaat, der aus sechs Teilrepubliken bestand: Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro und Mazedonien. Jede Republik hatte eine eigene Verfassung, ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Die Bevölkerung bestand aus verschiedenen ethnischen Gruppen, die unterschiedliche Sprachen sprachen und verschiedenen Religionen angehörten. Die größten Gruppen waren Serben (orthodoxe Christen), Kroaten (katholische Christen) und Bosniaken (Muslime). Die Serben stellten die Mehrheit in Serbien, Montenegro und dem Kosovo, die Kroaten in Kroatien und die Bosniaken in Bosnien und Herzegowina. In den anderen Republiken gab es eine gemischte Bevölkerung.

Nach dem Tod des jugoslawischen Staatspräsidenten Josip Broz Tito im Jahr 1980 begannen sich die Spannungen zwischen den Republiken zu verschärfen. Die wirtschaftliche Krise, die politische Reformbewegung und der wachsende Nationalismus führten zu einem Zerfall des Staates. Im Juni 1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien, was zu einem militärischen Konflikt mit der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) führte, die unter der Kontrolle der serbischen Führung stand. Die JNA versuchte, die Unabhängigkeitsbestrebungen mit Gewalt zu unterdrücken, wurde aber von den slowenischen und kroatischen Streitkräften zurückgeschlagen. Der Krieg in Slowenien dauerte nur zehn Tage, der Krieg in Kroatien hingegen bis 1995.

Bosnien und Herzegowina war die ethnisch vielfältigste Republik Jugoslawiens. Die Bevölkerung bestand aus 43 % Bosniaken, 31 % Serben, 17 % Kroaten und 9 % anderen Gruppen. Die Republik hatte eine föderale Struktur mit zehn Kantonen, die jeweils eine gewisse Autonomie hatten. Die politische Situation war jedoch sehr instabil, da die verschiedenen ethnischen Parteien unterschiedliche Interessen verfolgten. Die bosniakische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) unter Alija Izetbegović strebte nach einer unabhängigen und multikulturellen Republik, die serbische Demokratische Partei (SDS) unter Radovan Karadžić nach einer Vereinigung mit Serbien und die kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) unter Mate Boban nach einer Vereinigung mit Kroatien.

Im März 1992 fand ein Referendum über die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina statt, das von der SDA und der HDZ unterstützt wurde, aber von der SDS boykottiert wurde. Die Mehrheit der Wähler stimmte für die Unabhängigkeit, aber die Serben erkannten das Ergebnis nicht an. Sie proklamierten ihre eigenen autonomen Gebiete in Bosnien und Herzegowina und begannen einen bewaffneten Aufstand gegen die bosnische Regierung. Die JNA unterstützte die serbischen Rebellen mit Waffen, Personal und Logistik. Die bosnische Armee war schlecht ausgerüstet und organisiert und konnte den serbischen Angriffen kaum widerstehen. Die Kroaten bildeten ihre eigene Armee, die Hrvatsko vijeće obrane (HVO), die zunächst mit den Bosniaken zusammenarbeitete, aber später auch gegen sie kämpfte.

Der Bosnienkrieg war gekennzeichnet durch ethnische Säuberungen, Massaker, Vergewaltigungen, Vertreibungen und Belagerungen. Die serbischen Truppen versuchten, so viel Territorium wie möglich unter ihre Kontrolle zu bringen und die nicht-serbische Bevölkerung zu eliminieren oder zu verdrängen. Die Kroaten taten dasselbe in den Gebieten, die sie beanspruchten. Die Bosniaken waren die Hauptopfer des Krieges, da sie in der Minderheit waren und von allen Seiten angegriffen wurden. Die internationale Gemeinschaft reagierte zunächst zögerlich und unentschlossen auf den Konflikt. Die Vereinten Nationen schickten eine Friedenstruppe (UNPROFOR), die aber nur ein begrenztes Mandat hatte und oft machtlos war. Die Europäische Union versuchte, eine diplomatische Lösung zu finden, scheiterte aber an den widersprüchlichen Interessen der Konfliktparteien. Die USA hielten sich zunächst zurück, griffen aber später militärisch ein.

Das Massaker von Foča

Foča war eine Stadt im Südosten von Bosnien und Herzegowina, die vor dem Krieg etwa 40.000 Einwohner hatte. Davon waren 51 % Bosniaken, 45 % Serben und 4 % andere Gruppen. Die Stadt war ein wichtiges kulturelles und wirtschaftliches Zentrum der Region und hatte eine lange Geschichte des Zusammenlebens verschiedener Religionen und Ethnien. Die Stadt war bekannt für ihre zahlreichen Moscheen, Kirchen und Klöster, die das Erbe der osmanischen, byzantinischen und mittelalterlichen Kunst darstellten.

Im April 1992 wurde Foča von den serbischen Truppen angegriffen, die aus der JNA, der SDS-Miliz und den paramilitärischen Einheiten bestanden. Die bosnische Armee und die örtliche Polizei leisteten Widerstand, waren aber zahlenmäßig und materiell unterlegen. Nach heftigen Kämpfen fiel die Stadt am 16. April in die Hände der Serben. Die serbischen Truppen begannen sofort mit einer systematischen Zerstörung der Stadt und ihrer Bewohner. Sie plünderten und brannten Häuser, Geschäfte und öffentliche Gebäude nieder. Sie sprengten oder beschädigten alle Moscheen der Stadt, darunter die berühmte Aladža-Moschee aus dem 16. Jahrhundert, die als eines der schönsten Beispiele der osmanischen Architektur galt. Sie ermordeten oder vertrieben die meisten bosniakischen Einwohner der Stadt. Viele wurden in Konzentrationslager gebracht, wo sie gefoltert, misshandelt oder hingerichtet wurden. Andere wurden in Massengräbern verscharrt oder in den Fluss Drina geworfen.

Ein besonderes Merkmal des Massakers von Foča war die systematische Vergewaltigung von bosniakischen Frauen und Mädchen durch die serbischen Soldaten. Die Vergewaltigung wurde als eine Form der ethnischen Säuberung angesehen, um die bosniakische Identität zu zerstören und eine serbische Nachkommenschaft zu erzeugen. Die Vergewaltigungsopfer wurden oft in sogenannten “Vergewaltigungslagern” festgehalten, wo sie mehrmals täglich vergewaltigt wurden. Einige dieser Lager befanden sich in ehemaligen Hotels, Schulen oder Sportzentren. Eines der bekanntesten war das Partizan-Sportzentrum, wo etwa 200 Frauen und Mädchen gefangen gehalten wurden. Die Vergewaltiger waren meist serbische Soldaten oder Polizisten, aber auch Zivilisten oder sogar Nachbarn der Opfer. Die Vergewaltigungen wurden oft vor den Augen der Familienangehörigen oder anderen Gefangenen durchgeführt. Viele Opfer wurden schwanger oder infiziert mit Geschlechtskrankheiten oder HIV. Viele begingen Selbstmord oder wurden getötet.

Das Massaker von Foča dauerte bis Ende 1992 an. In dieser Zeit wurden schätzungsweise 2000 bis 3000 Bosniaken getötet und etwa 20.000 vertrieben oder geflohen. Die Stadt wurde fast vollständig entvölkert und zerstört. Sie wurde in Srbinje umbenannt.

Folgen

Das Massaker von Foča hatte sowohl kurzfristige als auch langfristige Folgen für die Opfer, die Täter und die Region. Die Überlebenden des Massakers litten unter schweren physischen und psychischen Traumata, die ihr Leben beeinträchtigten. Viele hatten Schwierigkeiten, ihre Familien zu finden, ihre Häuser wieder aufzubauen oder ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Viele wurden zu Flüchtlingen oder Vertriebenen in anderen Teilen Bosnien und Herzegowinas oder in anderen Ländern. Viele mussten sich mit der Scham, der Schuld oder dem Hass auseinandersetzen, die die Vergewaltigung oder die Ermordung ihrer Angehörigen verursacht hatten. Viele suchten nach Gerechtigkeit oder Rache für das erlittene Unrecht.

Die Täter des Massakers von Foča wurden zunächst nicht zur Rechenschaft gezogen. Die serbischen Behörden leugneten oder verharmlosten die begangenen Verbrechen. Die internationale Gemeinschaft war nicht in der Lage oder nicht willens, einzugreifen oder zu vermitteln. Der Bosnienkrieg ging weiter bis 1995, als das Abkommen von Dayton unterzeichnet wurde, das einen Waffenstillstand und eine Teilung des Landes in zwei Entitäten vorsah: die Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH) und die Republika Srpska (RS). Foča wurde Teil der RS, die von den Serben dominiert wurde. Die meisten bosniakischen Einwohner kehrten nicht zurück oder konnten nicht zurückkehren.

Erst nach dem Ende des Krieges begann der Prozess der Aufarbeitung und Aufklärung des Massakers von Foča. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) wurde 1993 gegründet, um die schwersten Kriegsverbrechen zu verfolgen und zu bestrafen. Der ICTY erhob Anklage gegen mehrere Personen, die an dem Massaker beteiligt waren, darunter Radovan Karadžić, der politische Führer der bosnischen Serben, Ratko Mladić, der militärische Führer der bosnischen Serben, und mehrere Kommandanten und Soldaten der serbischen Truppen. Einige von ihnen wurden festgenommen und ausgeliefert, andere blieben flüchtig oder starben vor ihrer Verurteilung. Der ICTY fällte mehrere Urteile gegen die Angeklagten, in denen er sie wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und anderen Delikten schuldig sprach. Er verhängte hohe Haftstrafen oder lebenslange Freiheitsstrafen für einige von ihnen.

Der ICTY spielte eine wichtige Rolle bei der Dokumentation und Anerkennung des Massakers von Foča als eines der schwersten Verbrechen in der Geschichte Europas. Er schuf einen Präzedenzfall für die Verfolgung von Vergewaltigung als eine Form des Völkermordes und als eine Waffe des Krieges. Er gab den Opfern eine Stimme und eine Möglichkeit, ihre Geschichten zu erzählen und ihre Rechte einzufordern. Er trug zur Wahrheitsfindung und zur Versöhnung in der Region bei.

Das Massaker von Foča ist jedoch noch nicht vollständig aufgearbeitet oder überwunden. Die Wunden sind noch frisch und tief. Die Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen sind noch hoch. Die Gerechtigkeit ist noch nicht vollständig erreicht oder anerkannt. Die Erinnerung an das Massaker ist noch nicht vollständig bewahrt oder geteilt. Die Stadt Foča ist noch immer geteilt zwischen den Serben und den Bosniaken, die in getrennten Gebieten leben. Die Stadt heißt offiziell wieder Foča, aber viele Serben nennen sie immer noch Srbinje. Die meisten Moscheen der Stadt sind noch immer zerstört oder beschädigt. Die meisten Massengräber sind noch immer nicht exhumiert oder identifiziert. Die meisten Überlebenden sind noch immer nicht entschädigt oder rehabilitiert.

Das Massaker von Foča ist eine dunkle Seite der europäischen Geschichte, die nicht vergessen oder ignoriert werden darf. Es ist eine Mahnung an die Menschlichkeit, die Grausamkeit und die Verantwortung, die wir alle haben. Es ist eine Herausforderung an die Zukunft, die Frieden und die Menschenrechte, die wir alle anstreben. Es ist eine Lektion für die Gegenwart, die Dialog und die Toleranz, die wir alle brauchen.

Quellen

  • Massaker von Foča (Wikipedia)

  • Foča rape camps (Wikipedia)

  • Bosnienkrieg (Wikipedia)

  • Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Wikipedia)

  • Bosnia: The Cruelest War (New York Times, 1992)

  • The Rape of Bosnia (The New Yorker, 1993)

  • The Women of Foča (Human Rights Watch, 1996)

  • Foča verdict – rape and sexual enslavement are crimes against humanity (ICTY, 2001)

  • Karadžić convicted of genocide, sentenced to 40 years imprisonment (ICTY, 2016)

  • Mladić convicted of genocide and war crimes, sentenced to life imprisonment (ICTY, 2017)

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