Vergessene Genozide – der Völkermord in Ruanda – 100 Tage im Jahre 1994

Lesezeit 4 minutes

Genozide sind die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die je begangen wurden. Sie zeugen von Hass, Intoleranz und Grausamkeit gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen, die aufgrund ihrer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Zugehörigkeit verfolgt und vernichtet werden sollen. Doch nicht alle Genozide sind gleich bekannt oder anerkannt. Viele von ihnen sind vergessen oder verdrängt worden, sowohl von den Tätern als auch von der Weltöffentlichkeit. In dieser Artikelreihe wollen wir einige dieser vergessenen Genozide vorstellen und ihre Ursachen, Folgen und Aufarbeitung beleuchten.

Im Jahr 1994 wurde das ostafrikanische Land Ruanda Schauplatz eines der schlimmsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts. In nur etwa 100 Tagen wurden mehr als 800.000 Menschen ermordet, die meisten von ihnen Angehörige der ethnischen Minderheit der Tutsi. Aber auch moderate und oppositionelle Hutu, die sich dem Massaker widersetzten oder helfen wollten, sowie Angehörige der kleinen Gruppe der Twa wurden Opfer der Gewalt.

Die Täter kamen aus den Reihen der ruandischen Armee, der Präsidentengarde, der Polizei, der Verwaltung und vor allem aus den Milizen der Impuzamugambi und der Interahamwe. Auch viele Hutu-Zivilisten beteiligten sich an den Gräueltaten, die mit Macheten, Knüppeln, Schusswaffen und anderen Waffen ausgeführt wurden. Neben dem Mord wurden auch systematisch Vergewaltigungen, Folterungen und Plünderungen verübt.

Der Völkermord war das Ergebnis eines langjährigen Konflikts zwischen den Hutu und den Tutsi, dessen Ursprünge in der Kolonialzeit liegen. Die deutschen und belgischen Kolonialherren hatten die Tutsi als eine überlegene Rasse angesehen und ihnen Privilegien eingeräumt, während sie die Hutu diskriminierten und unterdrückten. Sie führten auch Ausweise ein, die die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen festlegten. Nach der Unabhängigkeit Ruandas im Jahr 1962 kam es zu einem Machtwechsel, bei dem die Hutu die Kontrolle übernahmen und die Tutsi verfolgten und vertrieben. Viele Tutsi flohen in die Nachbarländer, vor allem nach Uganda, wo sie eine Rebellenbewegung gründeten: die Ruandische Patriotische Front (RPF).

Die RPF begann Anfang der 1990er Jahre einen Bürgerkrieg gegen die ruandische Regierung unter Präsident Juvénal Habyarimana, einem radikalen Hutu. Der Krieg führte zu einer humanitären Krise und zu politischen Spannungen im Land. Unter internationalem Druck unterzeichneten Habyarimana und die RPF im August 1993 ein Friedensabkommen in Arusha (Tansania), das eine Machtteilung und eine Übergangsregierung vorsah. Doch das Abkommen stieß auf Widerstand von extremistischen Hutu-Gruppen, die eine “Hutu-Power”-Ideologie vertraten und einen Völkermord an den Tutsi planten.

Der Auslöser für den Genozid war der Abschuss des Flugzeugs, mit dem Habyarimana am 6. April 1994 von einem Gipfeltreffen in Tansania zurückkehrte. An Bord befand sich auch der burundische Präsident Cyprien Ntaryamira, ein gemäßigter Hutu. Die beiden Staatschefs kamen bei dem Anschlag ums Leben. Bis heute ist nicht geklärt, wer für den Abschuss verantwortlich war. Die Hutu-Extremisten beschuldigten die RPF, während diese die Hutu-Hardliner verdächtigte.

Am Tag nach dem Anschlag begannen die Massaker an den Tutsi und den gemäßigten Hutu in der Hauptstadt Kigali und breiteten sich schnell auf das ganze Land aus. Die Mörder folgten einer Liste von Zielpersonen, die von den Machthabern erstellt worden war. Zu den ersten Opfern gehörten Premierministerin Agathe Uwilingiyimana, zehn belgische UN-Soldaten, die sie beschützen sollten, sowie mehrere Oppositionspolitiker und Menschenrechtsaktivisten. Die staatlichen Medien, vor allem der Radiosender RTLM (Radio-Télévision Libre des Mille Collines), hetzten gegen die Tutsi und riefen zum Mord auf. Sie gaben auch Anweisungen, wo sich potenzielle Opfer befanden oder wie man sie erkennen konnte.

Die Tutsi versuchten verzweifelt, sich zu verstecken oder zu fliehen. Viele suchten Schutz in Kirchen, Schulen, Krankenhäusern oder Stadien, die sie für sichere Orte hielten. Doch auch dort wurden sie von den Mördern aufgespürt und niedergemetzelt. Einige der bekanntesten Massaker fanden in der Kirche von Nyamata, im Technischen Institut von Kicukiro, im Stadion von Kibuye und in der Schule von Murambi statt. Die Leichen der Ermordeten wurden oft in Massengräbern, Flüssen oder Seen verscharrt oder verbrannt.

Die internationale Gemeinschaft reagierte mit Untätigkeit und Gleichgültigkeit auf den Völkermord. Die Vereinten Nationen hatten zwar eine Friedensmission in Ruanda (UNAMIR) unter dem Kommando des kanadischen Generals Roméo Dallaire, doch diese war schlecht ausgerüstet und hatte kein Mandat zum Eingreifen. Dallaire hatte schon vor dem Genozid vor einem möglichen Massaker gewarnt, doch seine Warnungen wurden ignoriert. Als der Völkermord begann, bat er um Verstärkung und ein robustes Mandat, doch der UN-Sicherheitsrat lehnte ab. Stattdessen beschloss er, die UNAMIR auf weniger als 300 Soldaten zu reduzieren. Die meisten westlichen Länder zogen ihre Bürger aus Ruanda ab und ließen die Tutsi ihrem Schicksal überlassen. Nur wenige Länder wie Belgien, Frankreich oder Italien führten humanitäre Operationen durch, um einige Tausend Menschen zu retten. Frankreich wurde jedoch kritisiert, weil es die Hutu-Regierung unterstützt und Waffen geliefert hatte.

Der einzige Faktor, der dem Völkermord ein Ende setzte, war der militärische Sieg der RPF. Die Rebellenarmee unter dem Kommando von Paul Kagame, einem Tutsi, der in Uganda aufgewachsen war, nahm nach heftigen Kämpfen am 4. Juli 1994 Kigali ein und eroberte bis Mitte Juli das ganze Land. Die Hutu-Regierung und viele ihrer Anhänger flohen nach Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), wo sie in riesigen Flüchtlingslagern lebten. Unter ihnen befanden sich auch viele Täter des Völkermords, die weiterhin Angriffe auf Ruanda planten und durchführten.

Die RPF bildete eine neue Regierung unter dem Präsidenten Pasteur Bizimungu, einem moderaten Hutu, und dem Vizepräsidenten Kagame, der auch Verteidigungsminister wurde. Die neue Regierung stand vor enormen Herausforderungen: Sie musste die Sicherheit wiederherstellen, die Flüchtlinge zurückführen, die Versöhnung fördern, die Wirtschaft wieder aufbauen und die Gerechtigkeit sicherstellen. Um die Täter des Völkermords zur Rechenschaft zu ziehen, wurden verschiedene Mechanismen eingerichtet: Der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (ICTR) in Arusha, der 1995 seine Arbeit aufnahm und bis 2015 mehr als 90 Personen anklagte und verurteilte; die nationalen Gerichte in Ruanda, die mehr als 10.000 Personen aburteilten; und die traditionellen Gacaca-Gerichte, die 2001 eingeführt wurden und mehr als eine Million Fälle behandelten.

Der Völkermord in Ruanda hat tiefe Narben in der ruandischen Gesellschaft hinterlassen. Die Überlebenden leiden bis heute unter den physischen und psychischen Folgen der Gewalt. Viele haben ihre Familien und Freunde verloren oder sind mit HIV infiziert worden. Die Täter müssen sich mit ihrer Schuld auseinandersetzen und versuchen, das Vertrauen ihrer Nachbarn wiederzugewinnen. Die ruandische Regierung hat versucht, eine nationale Identität zu schaffen, die über ethnische Grenzen hinweggeht. Sie hat auch den Genozid als einen zentralen Bestandteil des nationalen Gedächtnisses etabliert und mehrere Gedenkstätten errichtet.

Der Völkermord in Ruanda war ein dunkles Kapitel der Menschheitsgeschichte,

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkermord_Ruanda

https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/307318/gedenken-an-den-voelkermord-in-ruanda/

*****************************************************************************

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Haben Sie Fragen oder Anregungen?

Nutzen Sie bitte den Chat oder das Kontaktformular, wir freuen uns auf Ihre Nachricht!