Katastrophen der Menschheit – die Nacht, in der die Ahr zum reißenden Strom wurde

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

14./15.07.2021

Es war eine Nacht des Schreckens, des Leids und des Versagens. Eine Nacht, in der ein Jahrhundert-Hochwasser ganze Orte an der Ahr verwüstete, mehr als 180 Menschen das Leben kostete und tausende weitere obdachlos machte. Eine Nacht, in der viele Menschen verzweifelt auf Hilfe warteten, die nicht kam. Eine Nacht, in der die Sirenen in Wuppertal heulten, aber der WDR keine Informationen über die drohende Flutwelle sendete.

Wie konnte es dazu kommen? Wie wurden die Menschen gewarnt? Und wie reagierte der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf die Katastrophe? Eine Rekonstruktion der Ereignisse vom 14. und 15. Juli 2021.

Der Anfang vom Ende

Schon Tage vor dem Unwetter warnten verschiedene Behörden und Institutionen vor extremen Niederschlägen und Überschwemmungen in weiten Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Das Europäische Flutwarnsystem EFAS gab bereits am 10. Juli eine Warnung an die deutschen Behörden heraus1. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) sprach am 12. Juli von “großen Regenmengen” in “den nächsten Tagen” und informierte die Hochwasserzentralen der Länder2. Am Morgen des 14. Juli prognostizierte der DWD “extremes Unwetter” mit Dauerregen und Starkregen3.

Doch die Warnungen wurden offenbar nicht ausreichend beachtet oder weitergegeben. Viele Menschen waren ahnungslos oder unterschätzten die Gefahr. Auch die Kommunikation zwischen den verschiedenen Behörden und Ebenen war mangelhaft oder nicht vorhanden. So kam es zu fatalen Fehleinschätzungen und Verzögerungen bei der Evakuierung.

Der Hochwassermeldedienst des Landesumweltamtes Rheinland-Pfalz rief am 14. Juli um 11 Uhr die zweithöchste Warnstufe aus4. Um 11.17 Uhr gab das Landesumweltamt diese Warnung über die Katwarn-App heraus5. Es warnte vor “schnell ansteigenden Wasserständen” und forderte die Menschen auf, sich in Sicherheit zu bringen. Um 14.30 Uhr war der Wasserstand am Pegel Altenahr bereits auf 1,38 Meter angestiegen6. Normalerweise liegt er deutlich unter einem Meter.

Um 15.26 Uhr prognostizierte das Landesumweltamt einen bedrohlichen Höchststand von 5,19 Metern am Pegel Altenahr. Der höchste Stand in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde dort 2016 mit 3,71 Metern gemessen. Um 16 Uhr rief das Landesumweltamt die höchste Warnstufe aus. Um 16.30 Uhr erreichte der Pegel Altenahr bereits einen historischen Rekord von 4,50 Metern.

Die Flutwelle rollt

Die Wassermassen stauten sich an Engstellen im Flusslauf, an Brücken und an Schleusen. Dann brachen sie mit voller Wucht durch und schossen talabwärts. Die Flutwelle erreichte gegen 18 Uhr den Ort Schuld, wo sie mehrere Häuser zum Einsturz brachte und zahlreiche Menschen in den Tod riss. Gegen 19 Uhr traf sie auf Ahrweiler, wo sie ebenfalls verheerende Schäden anrichtete und viele Menschenleben forderte.

Die Flutwelle setzte ihre Zerstörungskraft bis zur Mündung der Ahr in den Rhein fort. Sie überflutete auch andere Orte entlang des Flusses, wie Sinzig, Remagen oder Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die Menschen waren dem Wasser schutzlos ausgeliefert. Viele versuchten sich auf Dächer oder Bäume zu retten. Andere wurden von den Fluten mitgerissen oder ertranken in ihren Kellern oder Autos.

Die Hilferufe verhallen

Die Flutkatastrophe überforderte die Einsatzkräfte und die Infrastruktur. Die Strom-, Gas- und Wasserversorgung brach zusammen. Die Telefon- und Mobilfunknetze waren gestört oder ausgefallen. Die Straßen waren unpassierbar oder zerstört. Die Rettungskräfte kamen nur schwer oder gar nicht zu den Opfern. Viele Menschen waren von der Außenwelt abgeschnitten und auf sich allein gestellt.

Die Betroffenen versuchten verzweifelt, Hilfe zu bekommen oder zu leisten. Sie riefen die Notrufnummern an, die aber oft nicht erreichbar waren oder überlastet waren. Sie schickten Nachrichten oder Videos über soziale Medien, die aber oft nicht wahrgenommen wurden oder zu spät ankamen. Sie hofften auf Informationen oder Anweisungen von den Behörden oder den Medien, die aber oft nicht kamen oder unzureichend waren.

Die Sirenen in Wuppertal

Eine Stadt, die besonders früh und deutlich vor dem Hochwasser gewarnt wurde, war Wuppertal. Dort heulten am 14. Juli ab 18 Uhr die Sirenen, um die Bevölkerung auf die Gefahr aufmerksam zu machen. Die Stadt hatte neben der Katwarn-App auch Lautsprecherdurchsagen eingesetzt, um die Menschen zu informieren. Allerdings gab es auch in Wuppertal Fehler bei der Warnung: In einigen Stadtteilen, wie Kohlfurt und Beyenburg, gab es keine oder zu späte Alarmierung.

Die Sirenen in Wuppertal waren ein deutliches Signal für die drohende Flutwelle an der Ahr, die etwa 100 Kilometer entfernt lag. Doch viele Menschen in den betroffenen Gebieten hörten sie nicht oder verstanden sie nicht. Und der Westdeutsche Rundfunk (WDR), der öffentlich-rechtliche Sender für Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, sendete keine Informationen über die Sirenen oder die Flutwelle.

Der WDR versagt

Der WDR hatte am 14. Juli zwar mehrere Berichte über das Unwetter und das Hochwasser gesendet, aber diese waren oft ungenau, veraltet oder verharmlosend. Der Sender hatte keine Sonderprogramme eingerichtet, keine Sondersendungen ausgestrahlt und keine Live-Schalten zu den Krisengebieten gemacht. Der Sender hatte auch keine Warnungen oder Hinweise über die Sirenen oder die Flutwelle verbreitet.

Der WDR hatte stattdessen sein reguläres Programm fortgesetzt, das unter anderem eine Rocknacht beinhaltete. Der Sender hatte sein Programm auch nicht unterbrochen, als die Flutwelle an der Ahr bereits zahlreiche Todesopfer gefordert hatte und viele Menschen noch in Lebensgefahr schwebten. Der Sender hatte damit seine Informations- und Warnpflicht als öffentlich-rechtlicher Rundfunk verletzt.

Die Rechtfertigung und Kritik

Der WDR rechtfertigte sich später damit, dass er keine ausreichenden Informationen über das Ausmaß der Katastrophe gehabt habe und dass er auf die offiziellen Warnungen der Behörden angewiesen gewesen sei. Der Sender räumte aber auch Fehler ein und entschuldigte sich bei den Betroffenen und den Zuschauern. Der Sender kündigte an, seine Berichterstattung über Naturkatastrophen zu verbessern und eine interne Aufarbeitung durchzuführen.

Der WDR wurde jedoch von vielen Seiten scharf kritisiert für sein Versagen in der Flutnacht. Die Betroffenen warfen dem Sender vor, sie im Stich gelassen zu haben und ihnen lebenswichtige Informationen vorenthalten zu haben. Die Medienexperten warfen dem Sender vor, seine Rolle als öffentlich-rechtlicher Rundfunk nicht erfüllt zu haben und seine journalistische Verantwortung vernachlässigt zu haben. Die Politiker warfen dem Sender vor, seine Glaubwürdigkeit und sein Vertrauen verspielt zu haben und seine Legitimation infrage gestellt zu haben.

Die Lehren aus der Flutnacht

Die Flutkatastrophe in Deutschland 2021 hat gezeigt die Folgen des Klimawandels und die Notwendigkeit einer besseren Vorsorge und Anpassung. Die Flutkatastrophe hat auch die Schwächen des Warn- und Informationssystems in Deutschland offenbart und die Notwendigkeit einer besseren Koordination und Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren. Die Flutkatastrophe hat schließlich auch die Rolle und die Verantwortung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage gestellt und die Notwendigkeit einer besseren Berichterstattung und Reaktion auf Naturkatastrophen.

Die Lehren aus der Flutnacht sind klar: Es muss mehr getan werden, um solche Katastrophen zu vermeiden oder zu mildern, um die Menschen rechtzeitig und angemessen zu warnen und zu informieren, und um die Menschen solidarisch und professionell zu unterstützen und zu versorgen. Die Flutnacht darf sich nicht wiederholen. Die Flutnacht darf nicht vergessen werden. Die Flutnacht muss aufgearbeitet werden.

Quellen:

: EFAS Warnungen : DWD warnt vor extremen Niederschlägen : DWD warnt vor extremem Unwetter : Hochwassermeldedienst Rheinland-Pfalz : Katwarn-App : Pegel Altenahr

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