Katastrophen der Menschheit: Sarin-Anschlag in Tokio-U-Bahn am 20.03.1995

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Es war ein Montagmorgen wie jeder andere. Die Menschen in Tokio machten sich auf den Weg zur Arbeit oder zur Schule, ahnungslos von dem Schrecken, der sie erwartete. In fünf U-Bahn-Zügen, die durch das Regierungsviertel fuhren, hatten fünf Mitglieder einer obskuren Sekte namens Aum Shinrikyo Plastikbeutel mit einer tödlichen Flüssigkeit deponiert. Um acht Uhr stachen sie die Beutel an und verließen die Züge. Das war das Signal für den Beginn eines der schlimmsten Terroranschläge in der Geschichte Japans.

Die Flüssigkeit war Sarin, ein Nervengas, das ursprünglich von den Nazis als chemische Waffe entwickelt wurde. Sarin ist farblos und geruchlos, aber extrem giftig. Es blockiert die Übertragung von Nervenimpulsen im Körper und führt zu Lähmung, Krämpfen, Erbrechen, Atemnot und schließlich zum Tod. Ein Tropfen Sarin auf der Haut kann tödlich sein.

Die Sarin-Dämpfe verbreiteten sich schnell in den Zügen und in den U-Bahn-Stationen. Die Fahrgäste spürten plötzlich ein Brennen in den Augen, eine Übelkeit im Magen, eine Enge in der Brust. Viele brachen zusammen, schrien um Hilfe, rissen sich die Kleider vom Leib. Andere versuchten verzweifelt, aus den Zügen zu fliehen oder anderen zu helfen. Die Rettungskräfte waren überfordert von dem Ausmaß der Katastrophe. Sie wussten nicht, was das Gas war oder wie sie es bekämpfen sollten. Sie trugen keine Schutzanzüge oder Masken und wurden selbst vergiftet.

Der Anschlag forderte 13 Todesopfer und mehr als 6000 Verletzte. Viele von ihnen litten noch Jahre später an den Folgen des Gases, wie Sehstörungen, Kopfschmerzen, Angstzuständen oder Depressionen. Der Anschlag traumatisierte eine ganze Nation, die sich bis dahin für sicher und friedlich gehalten hatte.

Wer waren die Täter und was war ihr Motiv? Die Ermittlungen führten bald zu der Aum Shinrikyo-Sekte, die 1984 von Shoko Asahara gegründet wurde. Asahara war ein nahezu blinder Guru mit einem wallenden Haar und einem ungestutzten Bart. Er prophezeite seinen rund 10.000 Anhängern in Japan die bevorstehende Apokalypse im Jahr 1997, die durch Erdbeben, Brände, Fluten und einen Dritten Weltkrieg ausgelöst werden sollte. Nur wer im Sinne von Aum “erlöst” sei, würde überleben.

Asahara wollte mit dem Anschlag seine Prophezeiungen unterstreichen und die japanische Gesellschaft ins Chaos stürzen. Er glaubte auch, dass er dadurch eine Polizeirazzia auf seine Einrichtungen verhindern könnte, die wegen eines früheren Mordes an einem abtrünnigen Mitglied geplant war. Er schärfte seinen Jüngern ein: “Haltet euch zum Sterben bereit!”

Die Polizei nahm nach dem Anschlag mehr als 400 Mitglieder der Sekte fest, darunter Asahara selbst. Er wurde 2004 zum Tode verurteilt und 2018 hingerichtet. Die Sekte löste sich offiziell auf, existiert aber unter anderen Namen weiter.

Der Anschlag von Tokio war ein Weckruf für Japan und die Welt. Er zeigte die Gefahr von religiösem Fanatismus und Massenvernichtungswaffen auf. Er stellte auch die Frage nach der Verantwortung der Gesellschaft für diejenigen, die sich von ihr entfremdet fühlen oder nach einem Sinn im Leben suchen.

Der Schriftsteller Haruki Murakami interviewte für sein Buch “Untergrundkrieg:

Der Anschlag von Tokio” sowohl Opfer als auch Täter des Anschlags. Er wollte damit eine andere Sichtweise darlegen, die in den Medien nicht gezeigt wurde. Er meinte in seinem Fazit unter anderem, dass aus dem Anschlag nicht die richtigen Lehren gezogen wurden: “Statt den Anschlag als Tat weniger isolierter Bösewichter abzuhaken, sollte sich die japanische Gesellschaft besser mit ihrem psychischen ‘Untergrund’ beschäftigen.”

Quellen:

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