Katastrophen der Menschheit: Untergang der “Alexander L. Kielland” am 27.03.1980
Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.
Es war ein stürmischer Abend im März 1980, als eine der schlimmsten Tragödien in der Geschichte der Offshore-Ölindustrie geschah. Die Alexander L. Kielland, eine norwegische Bohrinsel, die als Wohnunterkunft für Arbeiter auf dem Ekofisk-Feld in der Nordsee diente, kenterte plötzlich und sank innerhalb weniger Minuten. Von den 212 Menschen an Bord überlebten nur 89. Was war die Ursache für diesen verheerenden Unfall? Und welche Konsequenzen hatte er für die Sicherheit von Bohrinseln?
Die Alexander L. Kielland war eine nach dem norwegischen Schriftsteller Alexander Lange Kielland benannte Halbtaucherbohrinsel, die 1976 gebaut wurde1. Sie bestand aus einer Plattform, die auf fünf teilweise ins Wasser eingetauchten Säulen ruhte, die von unter Wasser befindlichen Auftriebskörpern getragen wurden1. Die Säulen waren durch horizontale und diagonale Streben miteinander und mit der Plattform verbunden1.
Die Plattform hatte eine Länge von 110 Metern, eine Breite von 88 Metern und eine Höhe von 41 Metern2. Sie verfügte über einen Hubschrauberlandeplatz, einen Kran, einen Kinosaal, einen Speisesaal, eine Küche, eine Krankenstation, einen Friseursalon und mehrere Schlaf- und Aufenthaltsräume2. Die Alexander L. Kielland konnte bis zu 386 Personen beherbergen2.
Die Bohrinsel wurde zunächst als Ölbohrplattform eingesetzt, aber ab 1978 als Wohnunterkunft für Arbeiter vermietet, die auf anderen Bohrinseln im Ekofisk-Feld arbeiteten1. Das Ekofisk-Feld war das größte Ölfeld in der Nordsee und wurde von einem Konsortium aus mehreren Unternehmen betrieben, darunter Phillips Petroleum, Total, Shell und Statoil3. Die Arbeiter wurden mit Hubschraubern oder Booten zwischen den verschiedenen Plattformen transportiert3.
Am Abend des 27. März 1980 befanden sich 212 Menschen an Bord der Alexander L. Kielland, darunter 195 Arbeiter und 17 Besatzungsmitglieder. Die meisten von ihnen waren Norweger, aber es gab auch einige Briten, Dänen und Amerikaner. Die Wetterbedingungen waren schlecht: Es herrschte ein starker Wind mit Böen von bis zu 40 Knoten (74 km/h), hohe Wellen von bis zu 12 Metern und Regen. Die Bohrinsel war etwa vier Kilometer von der nächsten Plattform entfernt und lag in einer Wassertiefe von etwa 70 Metern.
Um 18:30 Uhr hörten einige Arbeiter einen lauten Knall und spürten einen Ruck in der Struktur der Bohrinsel. Eine der fünf Säulen, die sogenannte Säule D, hatte sich von der Plattform gelöst und war ins Wasser gefallen. Die Ursache dafür war ein Bruch einer diagonalen Strebe zwischen Säule D und dem Auftriebskörper. Der Bruch war das Ergebnis von Ermüdungserscheinungen im Stahl, die durch ständige Spannungen durch Wind und Wellen verursacht wurden. Der Bruch war nicht sichtbar gewesen, weil er sich unter einer Schweißnaht befand.
Durch den Verlust von Säule D geriet die Bohrinsel aus dem Gleichgewicht und begann sich zu neigen. Die Neigung betrug zunächst etwa zehn Grad, aber innerhalb weniger Sekunden erhöhte sie sich auf über 30 Grad. Die Arbeiter an Bord gerieten in Panik und versuchten verzweifelt, sich in Sicherheit zu bringen. Einige sprangen ins eiskalte Wasser, andere versuchten zu den Rettungsbooten oder den Rettungsflößen zu gelangen. Doch die meisten hatten keine Chance:
Die Rettungsboote waren nicht zugänglich oder funktionsfähig, die Rettungsflöße wurden nicht ausgelöst oder blieben an der Plattform hängen, die Türen und Fenster waren blockiert oder zerstört, die Stromversorgung war ausgefallen und die Kommunikation war unterbrochen.
Um 18:36 Uhr, nur sechs Minuten nach dem ersten Knall, kippte die Bohrinsel komplett um und versank im Meer. Von den 212 Menschen an Bord konnten nur 89 gerettet werden. Die meisten von ihnen wurden von einem nahe gelegenen Versorgungsschiff, der Odin Viking, aufgenommen, das zufällig in der Nähe war und sofort zur Hilfe eilte. Andere wurden von Hubschraubern oder Booten von anderen Plattformen gerettet. Die Rettungsaktion dauerte bis zum nächsten Morgen an, aber es wurden keine weiteren Überlebenden gefunden. Die meisten Opfer starben an Unterkühlung, Ertrinken oder Verletzungen durch den Unfall.
Die Bergung der Bohrinsel begann im April 1980 und dauerte bis zum August 1981 an. Die Alexander L. Kielland wurde in mehrere Teile zerlegt und an Land gebracht, wo sie untersucht wurde. Dabei wurde festgestellt, dass der Bruch der Strebe zwischen Säule D und dem Auftriebskörper die Hauptursache für den Unfall war. Es wurden aber auch andere Faktoren identifiziert, die zu dem Unfall beitrugen, wie zum Beispiel Designfehler, mangelnde Wartung, unzureichende Inspektionen, fehlende Notfallpläne und schlechte Ausbildung des Personals.
Der Unfall der Alexander L. Kielland führte zu einer Reihe von einschneidenden Änderungen in der Konstruktion, Prüfung und Sicherheitsausstattung von Bohrinseln. Die norwegische Regierung setzte eine staatliche Untersuchungskommission ein, die mehrere Empfehlungen aussprach, um die Sicherheit auf See zu verbessern. Dazu gehörten unter anderem die Einführung eines unabhängigen Zertifizierungssystems für Bohrinseln, die Verbesserung der Rettungsmittel und -verfahren, die Erhöhung der Anforderungen an die Materialqualität und -prüfung, die Stärkung der Rolle der Arbeitervertretungen und die Schaffung einer nationalen Behörde für Offshore-Sicherheit. Auch die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) reagierte auf den Unfall und verabschiedete 1989 den Internationalen Code für den Bau und die Ausrüstung von mobilen Offshore-Bohrinseln (MODU-Code), der weltweit verbindliche Standards für Design, Bau, Ausrüstung und Betrieb von Bohrinseln festlegte.
Der Untergang der Alexander L. Kielland war eine der größten Katastrophen in der Geschichte der Offshore-Ölindustrie. Er forderte nicht nur viele Menschenleben, sondern auch ein Umdenken in Bezug auf die Sicherheit auf See. Er zeigte, wie wichtig es ist, die Risiken zu minimieren, die mit dem Betrieb von Bohrinseln in rauen Umgebungen verbunden sind. Er mahnte auch zur Vorsicht vor dem blinden Vertrauen in die Technik und dem Streben nach Profit auf Kosten der Menschen. Er erinnerte daran, dass das Meer kein Spielplatz ist, sondern eine unbarmherzige Kraft der Natur.
Quellen:
1 Alexander L. Kielland (Bohrinsel) – Wikipedia
2 The Alexander L. Kielland Accident – Investigation Report
3 Ekofisk oil field – Wikipedia
[4] The Alexander L. Kielland Disaster – A Survivor’s Story
[5] The Alexander L. Kielland Accident – Fatigue Failure Analysis
[6] The Alexander L. Kielland Accident – Salvage Operation
[7] The Alexander L. Kielland Accident – Consequences and Lessons Learned
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