Katastrophen der Menschheit – die Loveparade-Katastrophe vom 24.07.2010

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Es sollte ein Tag der Freude, der Musik und der Liebe werden. Doch für 21 junge Menschen endete die Loveparade 2010 in Duisburg in einer tödlichen Falle. Am 24. Juli 2010 kam es zu einem der schlimmsten Unglücke in der deutschen Nachkriegsgeschichte, als auf dem einzigen Ein- und Ausgang des Veranstaltungsgeländes ein unkontrollierbares Gedränge entstand, das 21 Menschen im Alter von 17 bis 38 Jahren erdrückte und mindestens 652 weitere zum Teil schwer verletzte12

Die Loveparade war eine von 1989 bis 2003 jährlich und nochmals 2006 in Berlin veranstaltete Technoparade, die als größte Tanzveranstaltung der Welt galt und für die Besucher kostenlos war. Ab dem Jahr 2006 trat die Lopavent GmbH des Unternehmers Rainer Schaller als Veranstalter auf. Nachdem die Loveparade 2007, 2008 und 2009 an verschiedenen Orten im Ruhrgebiet stattgefunden hatte, sollte sie im Jahr 2010 unter dem Motto “The Art of Love” in Duisburg ausgerichtet werden1

Die Wahl des Veranstaltungsortes war von Anfang an umstritten. Das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Duisburg war für das Konzept und die erwartete Besucherzahl nicht geeignet, wie sich später herausstellen sollte. Das Gelände war von einer Bundesautobahn umgeben, die nur über zwei Tunnel zugänglich war. Der östliche Tunnel diente sowohl als Ein- als auch als Ausgang für die Besucher, während der westliche Tunnel nur für Rettungskräfte und Fahrzeuge reserviert war. Das Gelände selbst bot nur wenig Platz für die zahlreichen Bühnen, Stände und Toiletten. Zudem gab es keine ausreichenden Fluchtwege oder Notausgänge13

Die Genehmigung der Veranstaltung durch die Stadt Duisburg war ebenfalls fragwürdig. Obwohl es mehrere Bedenken und Warnungen von Experten, Polizei und Feuerwehr gab, wurde die Loveparade unter Auflagen genehmigt. Die Auflagen sahen unter anderem vor, dass die Besucherzahl auf maximal 250.000 begrenzt werden sollte, dass Vereinzelungsanlagen und Schleusen an den Eingängen installiert werden sollten, dass ein Sicherheitskonzept vorgelegt werden sollte und dass ausreichend Ordner eingesetzt werden sollten. Diese Auflagen wurden jedoch nicht oder nur unzureichend erfüllt. Die Besucherzahl wurde nicht kontrolliert, die Vereinzelungsanlagen waren nicht funktionsfähig, das Sicherheitskonzept war mangelhaft und die Ordner waren überfordert13

Am Tag der Veranstaltung strömten mehr als eine Million Menschen nach Duisburg, um an der Loveparade teilzunehmen. Die meisten von ihnen kamen mit dem Zug zum Hauptbahnhof Duisburg, von wo aus sie zu Fuß zum Veranstaltungsgelände gingen. Dabei mussten sie den östlichen Tunnel passieren, der sich schnell als Nadelöhr erwies. Der Tunnel war etwa 120 Meter lang und etwa 15 Meter breit und führte zu einer Rampe, die zum Gelände hinaufführte. Auf der Rampe gab es einen Zaun, der den Ein- vom Ausgang trennte. Der Ein- und Ausgang waren jeweils etwa fünf Meter breit1

Wer sich einmal persönlich diesen Tunnel angesehen hatte, wird sich mit Sicherheit fragen, wie in diesem engen und dunklen endlosen Gang eine Million Menschen durchgeschleust werden sollten. Jedem normal denkenden Menschen wird bewusst, dass dies gänzlich unmöglich war.

Tunnel Loveparade

Es gibt keinerlei Ausweichmöglichkeiten zu den Seiten hin, falls hier eine Panik ausbräche. Man ist eingepfercht und ausgeliefert. Ohne eine Möglichkeit der Flucht. Auch zu den Seiten hin ist ein Entkommen unmöglich, man müsste steile Hänge zu beiden Seiten hinauf klettern.

Und diese örtlichen Gegebenheiten wurden an diesem schicksalhaften Tag für Viele zur tödlichen Falle.

Gegen 14 Uhr begann sich der Tunnel zu füllen. Die Menschen drängten sich in Richtung Rampe, um auf das Gelände zu gelangen. Dabei kam es zu ersten Wellenbewegungen und Drucksituationen unter den Besuchern. Viele versuchten vergeblich umzukehren oder auszuweichen, doch es gab kein Entkommen aus dem Tunnel. Die Polizei versuchte zunächst noch, den Zugang zum Tunnel zu sperren, um das Gedränge zu entlasten, doch dies führte nur zu weiterem Unmut und Aggression unter den Wartenden. Die Ordner waren machtlos gegen die Masse und konnten keine Ordnung herstellen1

Gegen 16 Uhr eskalierte die Situation. Auf der Rampe kam es zu einem tödlichen Stau, als die Menschen von beiden Seiten aufeinanderprallten. Diejenigen, die vom Gelände weg wollten, trafen auf diejenigen, die zum Gelände hin wollten.

Wie das? Nun, die Rampe wurde mittels eines Bauzaunes unterteilt in einem Eingang und Ausgang. Wer auf diesen Einfall kam, einen beweglichen Zaun in einer engen Masse aufstellen zu lassen, handelte unbedacht und grob fahrlässig.

Wer zusätzlich auf den Einfall kam, einen Eingang gleichzeitig als Ausgang für eine Million zu erwartende Besucher einzurichten. Nun ja…

Der Zaun, der den Ein- vom Ausgang trennte, wurde zum Hindernis und zur Falle. Die Menschen wurden gegen den Zaun und gegen die Wand gedrückt, bis sie keine Luft mehr bekamen. Einige versuchten verzweifelt, über den Zaun oder die Wand zu klettern, um sich zu retten. Andere fielen zu Boden und wurden von der Menge überrannt. Die Schreie der Verletzten und Sterbenden waren kaum zu hören. Die Rettungskräfte hatten große Schwierigkeiten, zu den Opfern vorzudringen. Erst nach einer halben Stunde gelang es ihnen, den Zaun zu durchtrennen und einen Rettungskorridor zu schaffen. Doch für viele kam jede Hilfe zu spät1

Nach dem Unglück herrschte Fassungslosigkeit und Trauer. Um eine Panik unter den Besuchern auf dem überfüllten Festplatz zu verhindern, wurde die Veranstaltung nicht abgebrochen und ging weiter, was eine weise Entscheidung der Verantwortlichen war. Die Handynetze waren von Anrufen besorgter Eltern und Angehörigen der Besucher überlastet und brachen zusammen. Jeder wollte wissen, ob es seinem Lieben gut ging. Verständlich.

Die Nachricht vom Unglück sprach sich recht langsam herum. Beim WDR, der die Veranstaltung live übertrug, wurde erst recht spät hierüber berichtet. Es war anfangs von einem Tumult am Eingang die Rede. Erstaunen, als Rettungshubschrauber auf der jetzt gesperrten Autobahn landeten und immer mehr Rettungswagen sichtbar wurden.

Nach Bekanntwerden des Unglücks wurde die Übertragung dann abgebrochen. Die Opfer wurden in eine provisorische Leichenhalle gebracht, wo sie von ihren Angehörigen identifiziert werden mussten. Die Verletzten wurden in umliegende Krankenhäuser gebracht, wo sie zum Teil noch monatelang behandelt werden mussten. Viele Überlebende litten unter Schock, Angst und Schuldgefühlen. Einige begingen später Suizid aufgrund der andauernden seelischen Belastung1

Die Aufarbeitung des Geschehens war langwierig und kompliziert. Es wurden mehrere Untersuchungen, Gutachten und Ermittlungen durchgeführt, um die Ursachen und die Verantwortlichen für das Unglück zu klären. Dabei stellte sich heraus, dass eine Vielzahl von Faktoren zu der Katastrophe beigetragen hatte, darunter Planungsfehler, Genehmigungsmängel, Organisationsversagen, Kommunikationsprobleme und Fehleinschätzungen. Ein Strafverfahren gegen zehn Angeklagte des Veranstalters und der Stadt Duisburg wurde im Mai 2020 ohne Urteil eingestellt, weil das Gericht die individuelle Schuld der Angeklagten als verbleibend gering ansah. Die Opfer und ihre Angehörigen fühlten sich dadurch um Gerechtigkeit betrogen1

Legendär auch die Pressekonferenz der Stadt Duisburg am nächsten Morgen. Anstatt Entschuldigungen und Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen, wurde von allen Verantwortlichen geschwiegen. Die anwesenden Reporter gerieten angesichts dieser Schweigerunde in Rage und verlangten zu Recht von den Verantwortlichen Erklärungen, wie diese unfassbare Katastrophe geschehen konnte – und erhielten lediglich Schweigen und Stammeln als Antworten.

Die Loveparade 2010 war das Ende einer Veranstaltungsreihe, die einst als Symbol für Frieden, Freiheit und Toleranz stand. Der Organisator Rainer Schaller erklärte nach dem Unglück, dass es keine weitere Loveparade geben werde. An der Gedenkstätte am Karl-Lehr-Tunnel werden jedes Jahr am Jahrestag des Unglücks Kerzen angezündet und Blumen niedergelegt, um der Opfer zu gedenken. Ein Denkmal mit den Namen der 21 Toten soll an die Tragödie erinnern und zugleich ein Zeichen für das Leben setzen1

Quellen:

1: Unglück bei der Loveparade 2010 – Wikipedia 2: Duisburg: Loveparade-Unglück jährt sich zum 12. Mal – ZDFheute 3: Loveparade 2010: Wer trägt Verantwortung? – DW – 15.07.2020 : Loveparade-Katastrophe: Was geschah in Duisburg? – WDR : [Loveparade-Katastrophe: Sechs Suizide nach dem Unglück – DER SPIEGEL](https://www

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