Katastrophen der Menschheit: Interflug-Absturz am 14.08.1972

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Es sollte ein fröhlicher Urlaub an der bulgarischen Schwarzmeerküste werden, doch er endete in einer Tragödie. Am 14. August 1972 stürzte eine Iljuschin Il-62 der Interflug, der staatlichen Fluggesellschaft der DDR, kurz nach dem Start in Berlin-Schönefeld ab. Alle 156 Menschen an Bord kamen ums Leben. Es war der schwerste Flugunfall in der Geschichte Deutschlands und einer der folgenschwersten weltweit.

Der Flug

Die Maschine mit dem Kennzeichen DM-SEA war die erste Il-62, die die Interflug im April 1970 in Dienst gestellt hatte. Sie galt als das modernste und komfortabelste Flugzeug im damaligen Ostblock. Die vierstrahlige Il-62 konnte bis zu 186 Passagiere befördern und hatte eine Reichweite von über 10.000 Kilometern.

An jenem Montagnachmittag waren 148 Passagiere an Bord, die meisten davon DDR-Bürger, die ihren Urlaub in Bulgarien verbringen wollten. Die Besatzung bestand aus acht erfahrenen Mitarbeitern, darunter der 51-jährige Kommandant Heinz Pfaff, der seit der Einführung der Il-62 bei der Interflug diese flog.

Um 16:29 Uhr hob die Maschine vom Flughafen Berlin-Schönefeld ab. Das Wetter war gut, die Sicht klar. Die Flugroute führte über Cottbus, Dresden und Prag nach Burgas. Die Flugzeit sollte etwa zweieinhalb Stunden betragen.

Das Unglück

Etwa 100 Kilometer von Berlin entfernt, südöstlich von Cottbus, bemerkte die Besatzung um 16:43 Uhr Probleme mit der Trimmung des Höhenleitwerks. Das Höhenleitwerk ist ein Teil des Leitwerks am Heck des Flugzeugs, das für die Stabilität und die Steuerung in der Vertikalachse zuständig ist. Die Trimmung dient dazu, das Höhenleitwerk so einzustellen, dass das Flugzeug ohne ständige Steuerkorrekturen in einer bestimmten Flughöhe fliegen kann.

Die Besatzung versuchte vergeblich, die Trimmung manuell zu korrigieren. Das Flugzeug begann zu sinken und zu taumeln. Der Kommandant entschied sich, nach Berlin-Schönefeld zurückzukehren und eine Notlandung durchzuführen. Er informierte die Flugsicherung über seine Absicht und bat um Priorität bei der Landung.

Um 16:51 Uhr entschied er sich zudem, fünf Tonnen Treibstoff abzulassen, um eine Überlastlandung zu vermeiden. Dieser Vorgang wurde drei Minuten später eingeleitet. Anschließend flog er eine Linkskurve in Richtung des Funkfeuers Hotel Mike südlich von Storkow, das er kurz darauf überflog.

Doch im Heck des Flugzeugs nahm ein Inferno seinen Lauf. Durch einen Kurzschluss im elektrischen System war ein Feuer ausgebrochen, das sich rasch ausbreitete und die Hydraulikleitungen zerstörte. Die Hydraulik ist für die Betätigung der Ruder und Klappen verantwortlich, die für die Steuerung des Flugzeugs unerlässlich sind.

Das Feuer erreichte auch den Druckschott am Ende des Rumpfes, eine Wand aus Metall und Kunststoff, die den Druck im Passagierraum aufrechterhält. Der Druckschott brach unter dem Einfluss des Feuers und des Luftdrucks zusammen und riss das gesamte Leitwerk mit sich.

Um 16:58 Uhr meldete sich der Kommandant zum letzten Mal bei der Flugsicherung: “Mayday! Kurs 90 Grad, unmöglich Höhe zu halten.” Das Flugzeug war nun völlig außer Kontrolle. Es stürzte in einem steilen Winkel zu Boden.

Die Folgen

Die Maschine schlug um 16:59 Uhr in der Nähe der Stadt Königs Wusterhausen auf, etwa 35 Kilometer südlich von Berlin. Die Flugzeugnase bohrte sich in eine Wiese zwischen dem Nottekanal und dem Wasserwerk, der Rumpf lag in einem nahen Waldstück. Die Wucht des Aufpralls und die Explosion des Treibstoffs zerfetzten das Flugzeug und seine Insassen. Niemand überlebte.

Die ersten eintreffenden Helfer, darunter Feuerwehrleute, Polizisten, Soldaten und Anwohner, bot sich ein entsetzliches Bild. In den Baumkronen hingen Leichen, einige waren verkohlt. Andere lagen verstreut auf dem Boden oder im Wasser. Die Wrackteile waren über einen Kilometer verteilt. Der Geruch von verbranntem Fleisch und Kerosin lag in der Luft.

Die Bergungsarbeiten dauerten mehrere Tage an. Die Identifizierung der Opfer war schwierig, da viele von ihnen bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren. Einige konnten nur anhand ihrer persönlichen Gegenstände oder ihrer Zahnkarten erkannt werden. Die Leichen wurden in einem Massengrab auf dem Friedhof in Wildau beigesetzt.

Die Ursache

Die genaue Ursache des Unglücks wurde nie offiziell bekannt gegeben. Die DDR-Führung versuchte, das Thema klein zu halten und die Öffentlichkeit zu beruhigen. Es gab nur kurze und knappe Meldungen in den Staatsmedien, die von einem “technischen Defekt” sprachen. Eine Trauerfeier fand unter Ausschluss der meisten Angehörigen statt.

Erst nach der Wende kamen mehr Details ans Licht. Eine Untersuchungskommission aus Experten der DDR, der Sowjetunion und Bulgariens hatte damals festgestellt, dass ein Konstruktionsfehler der Il-62 für das Unglück verantwortlich war. Die elektrischen Leitungen im Heck des Flugzeugs waren nicht ausreichend isoliert und geschützt. Sie konnten durch Vibrationen oder Feuchtigkeit einen Kurzschluss verursachen, der wiederum ein Feuer auslösen konnte.

Dieser Fehler war bereits bei anderen Il-62 aufgetreten, unter anderem bei einer Maschine der polnischen LOT, die am 14. März 1980 bei Warschau abstürzte und 87 Menschen tötete, darunter eine US-amerikanische Rockband. Die sowjetischen Behörden hatten jedoch versäumt, die Interflug über diese Gefahr zu informieren und die notwendigen Änderungen an den Flugzeugen vorzunehmen.

Die Interflug flog noch bis 1991 mit der Il-62, allerdings mit verstärkten Sicherheitsmaßnahmen. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde die Fluggesellschaft aufgelöst und ihre Flotte verkauft oder verschrottet.

Das Gedenken

Der Absturz der Interflug bei Königs Wusterhausen ist bis heute ein traumatisches Ereignis für viele Menschen, die ihre Angehörigen oder Freunde verloren haben oder als Helfer vor Ort waren. Viele von ihnen leiden noch immer unter den psychischen Folgen und fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen.

Erst 1992 wurde ein Gedenkstein an der Absturzstelle errichtet, auf dem die Namen aller Opfer eingraviert sind. Seitdem finden dort regelmäßig Gedenkveranstaltungen statt, an denen auch Vertreter der Stadt und des Landes teilnehmen. Auch auf dem Friedhof in Wildau gibt es eine Gedenktafel für die Toten.

Der Absturz der Interflug bei Königs Wusterhausen ist ein Mahnmal für die Gefahren der Luftfahrt und die Verantwortung der Hersteller und Betreiber von Flugzeugen. Er ist aber auch ein Zeichen für die Solidarität und den Zusammenhalt der Menschen, die in einer schweren Stunde zusammenstanden und sich gegenseitig halfen.

Quellen:

[Flugzeugabsturz der Interflug bei Königs Wusterhausen – Wikipedia]

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