Vergessene Genozide – Ruanda – das Massaker in Murambi vom 06.04.1994

Lesezeit 3 minutes

Genozide sind die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die je begangen wurden. Sie zeugen von Hass, Intoleranz und Grausamkeit gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen, die aufgrund ihrer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Zugehörigkeit verfolgt und vernichtet werden sollen. Doch nicht alle Genozide sind gleich bekannt oder anerkannt. Viele von ihnen sind vergessen oder verdrängt worden, sowohl von den Tätern als auch von der Weltöffentlichkeit. In dieser Artikelreihe wollen wir einige dieser vergessenen Genozide vorstellen und ihre Ursachen, Folgen und Aufarbeitung beleuchten.

Im April 1994 wurde Ruanda von einem der schlimmsten Völkermorde der Menschheitsgeschichte erschüttert. Innerhalb von 100 Tagen wurden etwa 800.000 bis 1.000.000 Menschen, vor allem Angehörige der ethnischen Minderheit der Tutsi, von extremistischen Hutu ermordet. Die internationale Gemeinschaft versagte dabei, die Gräueltaten zu verhindern oder zu stoppen. Einer der Schauplätze des Genozids war die technische Schule von Murambi, in der Südprovinz von Ruanda. Dort fand eines der grausamsten Massaker statt, das bis heute in Erinnerung geblieben ist.

Die Flucht nach Murambi

Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug, mit dem der damalige Präsident Juvénal Habyarimana von einem Auslandsbesuch zurückkehrte, abgeschossen. Das Attentat wurde den Tutsi zur Last gelegt, und löste eine Welle der Gewalt aus. Die Hutu-Regierung und ihre Milizen, die Interahamwe, begannen systematisch die Tutsi und moderate Hutu zu verfolgen und zu töten. Die ruandische Patriotische Front (RPF), eine Rebellenbewegung der Tutsi, die seit 1990 einen Bürgerkrieg gegen die Regierung führte, nutzte die Gelegenheit, um ihre Offensive zu verstärken.

In dieser Situation suchten viele Tutsi Zuflucht in Kirchen, Schulen oder anderen öffentlichen Gebäuden, in der Hoffnung auf Schutz oder Rettung. Doch oft wurden sie dort von den Angreifern eingekesselt und massakriert. So geschah es auch in Murambi, einer kleinen Stadt etwa 160 km südlich der Hauptstadt Kigali. Dort befand sich eine technische Schule, die noch nicht fertiggestellt war. Die Bauarbeiten waren 1990 mit Hilfe der Weltbank begonnen worden.

Am 16. April 1994 flüchteten tausende Tutsi aus der Umgebung in den Schulkomplex. Sie hatten zuvor gehört, dass die französischen Soldaten, die im Rahmen der UN-Mission UNAMIR in Ruanda stationiert waren, dort eine Sicherheitszone einrichten würden. Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Die Franzosen kamen nie an, und die Flüchtlinge waren auf sich allein gestellt.

Die Belagerung und das Massaker

Die Tutsi in Murambi versuchten verzweifelt, sich gegen die anrückenden Hutu-Milizen zu verteidigen. Sie hatten nur wenige Waffen zur Verfügung, wie Steine, Stöcke oder Macheten. Sie errichteten Barrikaden aus Autoreifen und Möbeln, um den Zugang zu den Gebäuden zu blockieren. Sie organisierten sich in Gruppen und wehrten mehrere Angriffe ab.

Doch ihre Lage war aussichtslos. Die Interahamwe wurden von der Armee und der Präsidentengarde unterstützt, die über schwere Waffen verfügten. Sie beschossen die Schule mit Granaten und Maschinengewehren. Sie schnitten die Wasser- und Stromversorgung ab und verhinderten jede Flucht oder Hilfe von außen.

Am 21. April 1994 kam es zum finalen Ansturm. Die Milizen überwältigten die letzten Verteidiger und drangen in die Gebäude ein. Dort töteten sie jeden, den sie fanden, mit Macheten, Messern, Speeren, Sicheln, Feldhauen und Knüppeln. Sie machten keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen oder Kindern. Sie vergewaltigten viele Frauen und Mädchen vor ihrem Tod oder verstümmelten sie auf grausame Weise.

Schätzungen zufolge wurden rund 43.000 Tutsi in der Schule ermordet. Fast alle, die entkommen konnten, wurden am nächsten Tag getötet, als sie versuchten, sich in einer nahegelegenen Kirche zu verstecken. Über die Anzahl der überlebenden Menschen gibt es unterschiedliche Angaben. Zwischen vier und 36 Menschen sollen das Massaker überlebt haben.

Die Vertuschung und die Gedenkstätte

Nach dem Massaker versuchten die Täter, ihre Spuren zu verwischen. Sie leiteten die Leichen in Gruben, die sie mit schwerem Gerät ausgehoben hatten. Darüber legten sie ein Volleyballfeld an, um das Geschehene zu verbergen. Doch ihre Bemühungen waren vergebens. Die RPF, die nach und nach das Land eroberte, erreichte Murambi am 2. Juli 1994. Sie entdeckte die Massengräber und dokumentierte das Ausmaß der Gräueltaten.

Im Jahr 1995 wurde die technische Schule von Murambi zu einer Gedenkstätte für den Völkermord umgewandelt. Die Öffnung der Massengräber und die Exhumierung der Opfer erfolgte 1995 und 1996. In den Klassenräumen der Schule sind die menschlichen Überreste von etwa 850 Opfern auf Holzgerüsten liegend ausgestellt, die als Human Remains bezeichnet werden. Sie werden zur Leichenkonservierung zweimal im Jahr mit Kalk behandelt, um sie vor Zerfall zu bewahren.

Die Gedenkstätte soll nicht nur an die Opfer erinnern, sondern auch die Besucher über die Ursachen und Folgen des Völkermords aufklären. Sie ist eine von sechs größeren Erinnerungsstätten der etwa 200 Einrichtungen dieser Art im Land. Seit 2012 ist sie Teil einer Kulturstätte, die der ostafrikanische Staat Ruanda auf seine Vorschlagsliste für das UNESCO-Welterbe gesetzt hat.

Das Massaker in Murambi ist ein dunkles Kapitel der ruandischen Geschichte, das nie vergessen werden darf. Es ist ein Zeugnis menschlicher Intoleranz und Grausamkeit, aber auch ein Symbol für die Entschlossenheit, ein Wiederauftreten des Völkermords in Ruanda sowie anderswo zu verhindern.

Quellen:

: https://iwpr.net/global-voices/murambi-story-bones

*****************************************************************************

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Haben Sie Fragen oder Anregungen?

Nutzen Sie bitte den Chat oder das Kontaktformular, wir freuen uns auf Ihre Nachricht!