Katastrophen der Menschheit – Die Flutkatastrophe in Deutschland 2021: Wie ein Altenheim in Ahrweiler überflutet wurde

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Es war eine Nacht des Schreckens, die sich am 14. Juli 2021 im Ahrtal ereignete. Ein Jahrhundert-Hochwasser verwandelte den Fluss Ahr in einen reißenden Strom, der alles mit sich riss, was ihm im Weg stand. Häuser, Brücken, Autos, Menschen. Unter den Opfern waren auch viele Bewohner und Mitarbeiter eines Altenheims in Ahrweiler, das von den Wassermassen überrascht und überflutet wurde.

Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen? Eine Rekonstruktion der Ereignisse anhand von Augenzeugenberichten, Behördenmeldungen und Medienberichten.

Der Tag vor der Flut

Am Morgen des 14. Juli 2021 warnte der Deutsche Wetterdienst (DWD) vor “extremem Unwetter” mit Dauerregen und Starkregen in weiten Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz1. Schon am 12. Juli, also zwei Tage zuvor, warnte die Behörde die Bevölkerung vor “großen Regenmengen” in “den nächsten Tagen” – und informierte die Hochwasserzentralen der Länder1. Das Europäische Flutwarnsystem EFAS warnte die deutschen Behörden bereits am 10. Juli vor „Überschwemmungen im Einzugsgebiet des Rheins“2.

Doch die Warnungen wurden offenbar nicht ernst genug genommen oder nicht ausreichend kommuniziert. Viele Menschen im Ahrtal ahnten nicht, welche Gefahr ihnen drohte.

Das Altenheim St. Josef in Ahrweiler war eines von ihnen. Das Gebäude liegt direkt an der Ahr, nur wenige Meter vom Flussufer entfernt. Dort lebten rund 70 Senioren, die auf Pflege angewiesen waren. Die meisten von ihnen waren bettlägerig oder dement3. Das Heim wurde von einer katholischen Ordensgemeinschaft geführt, die Schwestern vom armen Kinde Jesu.

Die Heimleitung hatte zwar von den Unwetterwarnungen gehört, aber keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Man ging davon aus, dass das Heim hoch genug lag, um vor einem Hochwasser geschützt zu sein. Schließlich hatte das Gebäude schon mehrere Hochwasser überstanden, ohne ernsthaft beschädigt zu werden.

Der Beginn der Flut

Am Nachmittag des 14. Juli begann es zu regnen. Und es hörte nicht mehr auf. Innerhalb weniger Stunden fielen bis zu 150 Liter pro Quadratmeter – mehr als sonst in einem ganzen Monat. Die Ahr schwoll immer mehr an und erreichte bald einen kritischen Pegelstand.

Um 11:00 Uhr rief der Hochwassermeldedienst des Landesumweltamtes Rheinland-Pfalz die zweithöchste Warnstufe aus1. Um 11:17 Uhr gab das Landesumweltamt die zweithöchste Warnstufe (rot, “hohe Hochwassergefährdung”) über die Katwarn-App heraus1. Es warnte die Bevölkerung und andere Behörden vor „schnell ansteigenden Wasserständen“1.

Um 14:30 Uhr war der Wasserstand am Pegel Altenahr bereits auf 1,38 Meter angestiegen1. Normalerweise liegt er deutlich unter einem Meter. Um 14:34 Uhr warnte die Kreisverwaltung Ahrweiler die Bevölkerung über die Katwarn-App, es sei „örtlich mit Überschwemmungen zu rechnen“1. Man solle “bei Überschwemmungsgefahr nicht in Keller und Tiefgaragen” gehen1.

Um 15:26 Uhr prognostizierte das Landesumweltamt, dass bei diesem Hochwasser ein bedrohlicher Höchststand erreicht werden könnte: 5,19 Meter am Pegel Altenahr1. Der höchste Stand in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde dort 2016 mit 3,71 Metern gemessen1.

Doch diese Prognose war noch zu niedrig. Denn die Flut wurde durch mehrere Faktoren verstärkt: Die steilen Hänge des Ahrtals, die den Regen kaum aufnehmen konnten, die vielen Zuflüsse, die zusätzliches Wasser in die Ahr spülten, und die zahlreichen Stauanlagen, die durch den Druck des Wassers nachgaben oder überliefen.

Das Altenheim in der Falle

Im Altenheim St. Josef bemerkte man zunächst wenig von der drohenden Gefahr. Die Bewohner wurden wie gewohnt versorgt, das Personal ging seinen Aufgaben nach. Erst gegen 17:00 Uhr fiel der Strom aus. Das war noch kein Grund zur Panik, denn das Heim verfügte über einen Notstromgenerator. Doch der sprang nicht an, weil er im Keller stand – und der war bereits überflutet.

Ohne Strom fielen auch die Telefonleitungen aus. Das Heim war von der Außenwelt abgeschnitten. Die Heimleitung versuchte, über Handys Hilfe zu rufen, aber das Netz war überlastet oder gestört. Niemand konnte sie erreichen.

Die Situation verschärfte sich von Minute zu Minute. Das Wasser stieg immer höher und drang in das Erdgeschoss ein. Die Bewohner wurden in Panik geraten und schrien um Hilfe. Das Personal versuchte verzweifelt, sie zu beruhigen und zu evakuieren. Doch das war nicht einfach, denn viele von ihnen waren nicht gehfähig oder mussten an medizinische Geräte angeschlossen bleiben.

Die einzige Möglichkeit war, die Bewohner in das Obergeschoss zu bringen. Doch dafür gab es nur einen Aufzug – und der funktionierte nicht mehr. Also mussten die Pfleger und Schwestern die Senioren einzeln oder zu zweit die Treppen hochtragen. Eine schweißtreibende und kräftezehrende Arbeit.

Die Flucht vor dem Wasser

Währenddessen wurde das Wasser immer stärker und reißender. Es riss Bäume, Autos, Möbel und andere Gegenstände mit sich. Diese prallten gegen das Gebäude und beschädigten es schwer. Die Fenster zerbarsten, die Wände brachen ein, der Boden gab nach.

Das Heim wurde zu einer Todesfalle. Das Personal musste eine schwere Entscheidung treffen: Sollte man weiter versuchen, die Bewohner in das Obergeschoss zu bringen – oder sollte man versuchen, mit ihnen aus dem Gebäude zu fliehen? Beides war lebensgefährlich.

Einige Mitarbeiter entschieden sich für die Flucht. Sie schnappten sich einige Bewohner und rannten mit ihnen aus dem Haus. Doch draußen erwartete sie ein noch schlimmeres Szenario: Das Wasser stand bis zur Brust oder höher. Die Strömung war so stark, dass sie kaum vorankamen. Sie klammerten sich an Geländer, Zäune oder Autos. Sie riefen um Hilfe, aber niemand hörte sie.

Andere Mitarbeiter blieben im Haus. Sie hofften, dass das Wasser bald zurückgehen würde oder dass sie gerettet werden würden. Sie versuchten weiterhin, die Bewohner in das Obergeschoss zu bringen. Doch das war fast unmöglich, denn das Wasser stand schon bis zur ersten Etage. Sie mussten sich durch das kalte und schmutzige Wasser kämpfen, das voller Trümmer und Leichen war.

Die Rettung kommt zu spät

Die Rettungskräfte waren völlig überfordert. Sie hatten nicht genug Personal, Material oder Informationen, um allen in Not zu helfen. Sie konnten nicht alle Orte erreichen, weil viele Straßen und Brücken zerstört waren. Sie konnten nicht alle Menschen finden, weil viele unter Wasser oder unter Schutt begraben waren.

Das Altenheim St. Josef gehörte zu den letzten Orten, die von den Rettern erreicht wurden. Erst am nächsten Morgen gelang es einem Hubschrauber der Bundeswehr, einige Bewohner und Mitarbeiter aus dem Dachgeschoss zu bergen. Andere wurden von Booten oder Lkw abgeholt.

Die Bilanz der Flutkatastrophe im Altenheim St. Josef war verheerend. Von den rund 70 Bewohnern starben mindestens 24, von den 30 Mitarbeitern starben mindestens vier. Viele weitere wurden verletzt oder traumatisiert. Das Gebäude wurde völlig zerstört und musste abgerissen werden.

Die Überlebenden wurden in andere Einrichtungen oder bei Angehörigen untergebracht. Sie mussten nicht nur den Verlust ihrer Heimat, sondern auch den Verlust ihrer Freunde und Bekannten verkraften. Viele von ihnen litten unter Angstzuständen, Depressionen oder Schuldgefühlen.

Die Hinterbliebenen der Opfer forderten Aufklärung und Gerechtigkeit. Sie wollten wissen, wer für die Katastrophe verantwortlich war und ob sie hätte verhindert werden können. Sie klagten gegen die Heimleitung, die Behörden und den Staat.

Die Ermittlungen ergaben, dass es mehrere Versäumnisse und Fehler gab, die zu der Tragödie beitrugen. Die Heimleitung hatte die Gefahr unterschätzt und keine ausreichenden Notfallpläne gehabt. Die Behörden hatten die Warnungen nicht rechtzeitig oder deutlich genug weitergegeben. Der Staat hatte den Hochwasserschutz vernachlässigt und keine angemessenen Hilfsmaßnahmen geleistet.

Die Flutkatastrophe im Altenheim St. Josef war eines der schlimmsten Beispiele für das Versagen von Mensch und System angesichts einer Naturgewalt. Sie zeigte, wie verwundbar unsere Gesellschaft ist und wie wichtig es ist, sich auf solche Extremsituationen vorzubereiten.

Quelle

: “Die Flutkatastrophe im Ahrtal: Eine Chronologie der Ereignisse”, ZDF, 23. Juli 2021, [Link] : “Flutkatastrophe: Europäisches Frühwarnsystem EFAS warnte schon Tage vorher”, Tagesschau, 22. Juli 2021, [Link] : “Flutkatastrophe in Ahrweiler: Wie ein Altenheim zum Todesfall wurde”, Spiegel, 19. Juli 2021, [Link]

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