Katastrophen der Menschheit – die Knight Capital-Aktienpanne 2012

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Es war ein Tag, der in die Geschichte der Finanzwelt eingehen sollte. Der 1. August 2012, ein Mittwoch, an dem die Börsen in New York wie gewohnt um 9:30 Uhr öffneten. Doch für Knight Capital Group, einen der größten Marktmacher und Handelsdienstleister der USA, sollte es ein Tag des Schreckens werden. Ein Software-Fehler in ihrem automatisierten Handelssystem löste eine Flut von fehlerhaften Orders aus, die innerhalb von 45 Minuten den Markt durcheinanderbrachten und Knight einen Verlust von 460 Millionen Dollar einbrachten. Wie konnte das passieren? Und welche Folgen hatte es für Knight und die Finanzbranche?

Knight Capital Group war 1995 von Kenneth Pasternak und Walter Raquet gegründet worden, mit der Vision, dass der traditionelle, menschenzentrierte Börsenhandel durch Computer ersetzt werden würde. Knight spezialisierte sich auf das sogenannte Market Making, also das Anbieten von Kauf- und Verkaufspreisen für Aktien, um den Handel zu erleichtern und zu beschleunigen. Knight bediente vor allem große Broker, Hedgefonds und institutionelle Anleger, die von der Schnelligkeit und Effizienz von Knights Handelsalgorithmen profitierten. Knight wurde zum größten Marktmacher für US-Aktien, mit einem Marktanteil von 17,3% an der NYSE und 16,9% an der NASDAQ. Im Jahr 2011 machte Knight einen Umsatz von 1,4 Milliarden Dollar und einen Gewinn von 115 Millionen Dollar. Knight beschäftigte rund 1450 Mitarbeiter, die meisten davon in Jersey City, New Jersey, wo sich der Hauptsitz befand.

Am 1. August 2012 wollte Knight ein neues Handelsprogramm einführen, das Retail Liquidity Program (RLP), das darauf abzielte, bessere Preise für Kleinanleger zu bieten. Das RLP sollte auf acht Servern laufen, die das automatisierte Handelssystem von Knight bildeten, das SMARS hieß. Doch bei der Installation des RLP unterlief einem Techniker ein folgenschwerer Fehler: Er vergaß, den neuen Code auf einem der acht Server zu kopieren. Das hatte zur Folge, dass dieser Server noch mit einer alten Version des Codes lief, die eine veraltete Funktion enthielt, die Power Peg hieß. Power Peg war ein Programm, das automatisch die Anzahl der Aktien anpasste, die Knight kaufen oder verkaufen wollte, basierend auf dem Handelsvolumen im Markt. Power Peg war aber schon 2003 deaktiviert worden, weil es nicht mehr gebraucht wurde. Doch durch den fehlenden RLP-Code wurde Power Peg auf dem einen Server wieder aktiviert, ohne dass es jemand bemerkte.

Als der Handel um 9:30 Uhr begann, erhielt Knight 212 kleine Orders von Einzelhändlern, die über das RLP abgewickelt werden sollten. Doch statt die Orders normal auszuführen, schickte der fehlerhafte Server tausende von Orders pro Sekunde an den Markt, die von Power Peg generiert wurden. Das führte dazu, dass Knight in kürzester Zeit riesige Mengen von Aktien kaufte und verkaufte, oft zu extremen Preisen. Knight handelte über 4 Millionen Trades in 154 Aktien, die insgesamt mehr als 397 Millionen Aktien umfassten. Knight nahm dabei eine Netto-Long-Position in 80 Aktien von etwa 3,5 Milliarden Dollar und eine Netto-Short-Position in 74 Aktien von etwa 3,15 Milliarden Dollar ein.

Das bedeutet, dass Knight auf steigende Kurse in den einen Aktien und auf fallende Kurse in den anderen Aktien spekulierte. Doch da die Kurse durch die fehlerhaften Orders stark schwankten, machte Knight bei fast jedem Trade einen Verlust. Die Orders von Knight machten zeitweise mehr als 50% des gesamten Handelsvolumens an der NYSE aus und verursachten Chaos und Verwirrung im Markt.

Knight bemerkte den Fehler erst nach etwa 45 Minuten, als der Handel um 10:15 Uhr gestoppt wurde. Bis dahin hatte Knight schon einen Verlust von 460 Millionen Dollar angehäuft, mehr als das Vierfache seines Gewinns im Jahr 2011. Knight musste die ungewollten Positionen schnellstmöglich abstoßen, was aber weitere Verluste bedeutete. Knight stand vor dem Abgrund, denn der Verlust überstieg das Eigenkapital des Unternehmens. Knight brauchte dringend eine Rettung, sonst drohte die Insolvenz.

Die Rettung kam in Form einer Kapitalspritze von 400 Millionen Dollar, die Knight von einer Gruppe von Investoren erhielt, darunter Blackstone, Getco, Jefferies und TD Ameritrade. Die Investoren erhielten dafür Wandelpapiere, die ihnen erlaubten, 267 Millionen Aktien von Knight zu einem Preis von 1,50 Dollar pro Aktie zu erwerben. Das entsprach einem Anteil von 73% an Knight, was bedeutete, dass die bestehenden Aktionäre stark verwässert wurden. Der Aktienkurs von Knight war am Tag nach dem Fehler um 75% eingebrochen, von 10,33 Dollar auf 2,58 Dollar pro Aktie. Die Investoren retteten Knight vor dem Untergang, doch sie übernahmen auch die Kontrolle über das Unternehmen.

Die Knight Capital-Insolvenz 2012 war eine der größten Katastrophen in der Geschichte der Finanzwelt. Sie zeigte, wie ein kleiner menschlicher Fehler zu einem gigantischen technischen Versagen führen konnte, das Milliarden von Dollar vernichtete und einen ganzen Markt in Aufruhr versetzte. Sie zeigte auch, wie verwundbar und abhängig die Finanzbranche von komplexen und fehleranfälligen Computersystemen war, die oft nicht ausreichend getestet und überwacht wurden. Die Knight Capital-Insolvenz 2012 war ein Weckruf für die Finanzbranche, die Sicherheit und Zuverlässigkeit ihrer Handelssysteme zu verbessern, um solche Desaster in Zukunft zu vermeiden.

Quellen:

1 The Rise and Fall of Knight Capital – Medium

2 Knight Capital Group – Wikipedia

3 Knight umgeht Insolvenz dank Kapitalspritze von 400 Mill. Dollar

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