Katastrophen der Menschheit – Explosionskatastrophe von Lac-Mégantic 

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Am 6. Juli 2013 ereignete sich in der kanadischen Kleinstadt Lac-Mégantic in der Provinz Québec eine der schlimmsten Eisenbahnunfälle der Geschichte. Ein führerloser Güterzug, der mit Rohöl beladen war, entgleiste im Stadtzentrum und löste eine Reihe von Explosionen und Bränden aus, die 47 Menschen das Leben kosteten und die Hälfte der Innenstadt zerstörten. Dieser Artikel beschreibt den Unfallhergang, die Folgen und die Aufarbeitung dieser Katastrophe, die das Schicksal einer ganzen Gemeinde veränderte.

Der Unfallhergang

Der Güterzug gehörte der Montreal, Maine and Atlantic Railway (MMA), einer privaten Eisenbahngesellschaft, die Rohöl aus Nord-Dakota zu einer Raffinerie in New Brunswick transportierte. Der Zug bestand aus fünf Diesellokomotiven, einem Güterzugbegleitwagen mit Funkfernsteuerungs-Empfänger, einem gedeckten Güterwagen als Schutzwagen und 72 Kesselwagen, die jeweils 113.000 Liter Rohöl enthielten. Die Kesselwagen waren eine ältere Variante der sogenannten Baureihe 111, die als anfällig für Lecks und Brüche bei Unfällen galt.

Am 5. Juli 2013 gegen 23 Uhr hielt der Zug in Nantes, etwa 12 Kilometer von Lac-Mégantic entfernt, wo der Lokführer zur Übernachtung den Zug verließ. Er stellte den Zug auf dem durchgehenden Hauptgleis ab, das ein Gefälle von 12 Promille aufwies, und zog die Handbremsen an den fünf Lokomotiven und weiteren zehn Wagen an. Er schaltete vier der fünf Lokomotiven ab, die führende Lokomotive blieb zur Versorgung der Druckluftbremsen des Zuges in Betrieb. Er führte jedoch den Handbremsen-Wirksamkeitstest nicht richtig durch, indem er nur die automatische Bremse des Zuges, nicht aber die direkte Bremse der Lokomotiven löste, um festzustellen, ob der Zug von den angelegten Handbremsen auf dem Gefälle gehalten werden könnte. Der Zug blieb unbewacht und die Lokomotiven waren unverschlossen, während der Lokführer sich im Hotel aufhielt.

Um 23:50 Uhr wurde von einem Bewohner von Nantes ein Feuer gemeldet, das an der in Betrieb befindlichen Lok ausgebrochen sei. Die eintreffende lokale Feuerwehr betätigte die Notabschaltung der Treibstoffzufuhr und schaltete, um Zündquellen zu vermeiden, alle Leitungsschutzschalter in der Führerstandrückwand aus. Dies führte jedoch dazu, dass die Druckluftbremsen des Zuges ihre Wirkung verloren, da die Luftkompressoren nicht mehr arbeiteten. Die Handbremsen allein reichten nicht aus, um den Zug auf dem Gefälle zu halten, und so begann der Zug, sich unbemerkt in Bewegung zu setzen.

Der Zug rollte mit zunehmender Geschwindigkeit die Strecke hinunter, die mehrere Kurven und Gefälle aufwies. Er erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 105 km/h, als er in Lac-Mégantic ankam, wo er eine scharfe Kurve nehmen musste. Der Zug entgleiste um 01:15 Uhr im Stadtzentrum, wobei mehrere Kesselwagen entzündet wurden und explodierten.

Die Explosionen waren so heftig, dass sie einen Feuerball von mehreren hundert Metern Höhe erzeugten und einen Druckwellenstoß auslösten, der Fenster und Türen zerstörte. Das aus den Kesselwagen auslaufende Rohöl bildete einen brennenden Fluss, der sich durch die Straßen ergoss und weitere Gebäude in Brand setzte. Die Flammen waren so intensiv, dass sie die Nacht zum Tag machten und die Hitze bis zu einem Kilometer entfernt spürbar war. Die Feuerwehr von Lac-Mégantic und mehrere andere Feuerwehren aus der Umgebung kämpften tagelang gegen das Inferno an, das von den Behörden als “Kriegszone” beschrieben wurde.

Die Folgen

Die Explosionskatastrophe von Lac-Mégantic forderte 47 Todesopfer, von denen einige so stark verbrannt waren, dass sie nur durch DNA-Tests identifiziert werden konnten. Die meisten Opfer waren junge Erwachsene, die sich in einer beliebten Bar namens Musi-Café aufhielten, die direkt neben den Gleisen lag und völlig zerstört wurde. Viele Familien verloren mehrere Angehörige, und einige Opfer hinterließen kleine Kinder. Die Überlebenden litten unter Schock, Trauer, Angst und Schuldgefühlen. Viele mussten psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, um mit dem Erlebten fertig zu werden.

Die Explosionen und Brände zerstörten oder beschädigten 40 Gebäude im Stadtzentrum von Lac-Mégantic, darunter Wohnhäuser, Geschäfte, Restaurants, Hotels, eine Bibliothek, eine Kirche und ein historisches Bahnhofsgebäude. Etwa 2000 Menschen, mehr als ein Drittel der Bevölkerung, mussten evakuiert werden, und einige konnten erst nach Monaten in ihre Häuser zurückkehren. Die Infrastruktur der Stadt wurde schwer beschädigt, insbesondere die Wasserversorgung, die Stromversorgung, die Kanalisation und die Telefonleitungen. Die wirtschaftlichen Folgen waren ebenfalls gravierend, da viele Arbeitsplätze verloren gingen, der Tourismus einbrach und die Steuereinnahmen sanken.

Die Umweltverschmutzung durch das ausgelaufene Rohöl war ebenfalls enorm. Schätzungsweise 5,6 Millionen Liter Rohöl gelangten in die Luft, den Boden, das Grundwasser und den nahe gelegenen Fluss Chaudière, der ein wichtiges Trinkwasserreservoir für die Region darstellt. Das Rohöl enthielt giftige Substanzen wie Benzol, Toluol und Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die krebserregend sind. Die Reinigungs- und Sanierungsarbeiten dauerten mehrere Jahre und kosteten Hunderte von Millionen Dollar. Die langfristigen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und die Ökosysteme sind noch nicht vollständig bekannt.

Die Unfallaufarbeitung

Die Explosionskatastrophe von Lac-Mégantic löste eine Reihe von Untersuchungen, Klagen, Strafverfahren und Reformen aus, die bis heute andauern. Die kanadische Behörde für Transportsicherheit (TSB) veröffentlichte im August 2014 einen Abschlussbericht, in dem sie 18 Faktoren identifizierte, die zu dem Unfall beitrugen. Zu diesen Faktoren gehörten unter anderem die unzureichende Sicherheitskultur der MMA, die mangelnde Aufsicht durch die Regulierungsbehörden, die unangemessenen Bremsverfahren, die veralteten Kesselwagen, die fehlende Risikobewertung für den Transport von Rohöl und die unzureichende Notfallplanung. Der Bericht enthielt auch mehrere Empfehlungen, um die Sicherheit im Eisenbahnverkehr zu verbessern, wie zum Beispiel die Einführung von moderneren Kesselwagen, die Verstärkung der Bremsanforderungen, die Verbesserung der Sicherheitsüberwachung und die Erhöhung der Haftpflichtversicherung für Eisenbahngesellschaften.

Die MMA meldete im August 2013 Konkurs an, da sie die Kosten für die Reinigung und Entschädigung nicht tragen konnte. Die kanadische Regierung übernahm die Verantwortung für die Sanierung und schloss einen Vergleich mit mehreren Parteien, darunter die MMA, die Ölproduzenten, die Raffinerie, die Kesselwagenhersteller und die Versicherer, um einen Entschädigungsfonds von 460 Millionen Dollar für die Opfer und die Gemeinde zu schaffen. Die Stadt Lac-Mégantic erhielt 60 Millionen Dollar für den Wiederaufbau und die Umsiedlung des Bahnhofs, der nun außerhalb

Quellen

  • Kanadische Behörde für Transportsicherheit (2014). Railway Investigation Report R13D0054: Runaway and Main-Track Derailment, Montreal, Maine & Atlantic Railway, Freight Train MMA-002, Mile 0.23, Sherbrooke Subdivision, Lac-Mégantic, Quebec, 06 July 2013. Ottawa: TSB. Abgerufen am 17. November 2023 von [TSB Website].

  • CBC News (2013). Lac-Mégantic disaster: Rail watchdog wants tougher tank car standards. Abgerufen am 17. November 2023 von [CBC Website].

  • The Canadian Press (2018). Lac-Mégantic marks five years since rail disaster that killed 47 people. Abgerufen am 17. November 2023 von [The Globe and Mail Website].

  • Radio Canada International (2019). Lac-Mégantic: Six years later, the human toll is still being felt. Abgerufen am 17. November 2023 von [RCI Website].

  • Government of Canada (2019). Lac-Mégantic Rail Disaster: Environmental Remediation. Abgerufen am 17. November 2023 von [Government of Canada Website].

  • CBC News (2019). Lac-Mégantic trial: 3 men found not guilty of criminal negligence in train derailment that killed 47. Abgerufen am 17. November 2023 von [CBC Website].

  • The Canadian Press (2020). Ottawa, Quebec reach $133M deal to bypass Lac-Mégantic rail tracks. Abgerufen am 17. November 2023 von [CTV News Website].

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