Vergessene Genozide im Jugoslawienkrieg – das Konzentrationslager Omarska

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Genozide sind die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die je begangen wurden. Sie zeugen von Hass, Intoleranz und Grausamkeit gegenüber bestimmten Gruppen von Menschen, die aufgrund ihrer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Zugehörigkeit verfolgt und vernichtet werden sollen. Doch nicht alle Genozide sind gleich bekannt oder anerkannt. Viele von ihnen sind vergessen oder verdrängt worden, sowohl von den Tätern als auch von der Weltöffentlichkeit. In dieser Artikelreihe wollen wir einige dieser vergessenen Genozide vorstellen und ihre Ursachen, Folgen und Aufarbeitung beleuchten.

Der Bosnienkrieg (1992-1995) war einer der blutigsten Konflikte in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Er forderte mehr als 100.000 Todesopfer und vertrieb mehr als zwei Millionen Menschen aus ihren Heimatorten. Der Krieg war geprägt von ethnischen Säuberungen, Massakern, Vergewaltigungen und Kriegsverbrechen, die von allen beteiligten Parteien begangen wurden.

Eines der schrecklichsten Beispiele für diese Grausamkeiten war das Lager Omarska, ein Konzentrationslager 12, das von serbischen Kräften in der Bergbaustadt Omarska, nahe Prijedor im Norden Bosnien-Herzegowinas, eingerichtet wurde. Dort wurden bosnische Bosniaken und Kroaten gefangen gehalten, gefoltert und ermordet.

Die Vorgeschichte

Omarska ist ein vorwiegend serbisches Dorf im Nordwesten Bosniens, in der Nähe der Stadt Prijedor. Vor dem Krieg lebten dort auch Bosniaken und Kroaten in relativer Harmonie. Prijedor war eine multikulturelle Gemeinde mit einer Bevölkerung von etwa 112.000 Einwohnern, von denen 44 Prozent Bosniaken, 42 Prozent Serben und 5 Prozent Kroaten waren. Nach dem Zerfall Jugoslawiens und der Unabhängigkeitserklärung Bosnien-Herzegowinas im März 1992 kam es jedoch zu Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen. Die Serbische Demokratische Partei (SDS), die die Interessen der Serben vertrat, lehnte die Unabhängigkeit ab und strebte nach der Schaffung einer eigenen Republik innerhalb Bosniens, die sich später Republika Srpska nannte.

Am 30. April 1992 putschten die serbischen Kräfte in Prijedor und übernahmen die Kontrolle über die Stadt. Sie verlasen eine Erklärung über den Machtwechsel im Radio Prijedor und forderten alle nicht-serbischen Einwohner auf, sich zu ergeben oder mit Gewalt rechnen zu müssen. Etwa 400 serbische Polizisten waren an dem Putsch beteiligt, dessen Ziel es war, die wichtigsten Positionen in der Stadt zu besetzen, wie den Bürgermeister, den Vizebürgermeister, den Postdirektor, den Polizeichef usw2 Die serbischen Behörden begannen auch, nicht-serbische Symbole zu zerstören oder zu entfernen, wie Moscheen, katholische Kirchen oder Denkmäler.

Im Mai 1992 begannen die serbischen Kräfte mit einer systematischen Verfolgung der bosniakischen und kroatischen Bevölkerung in Prijedor und Umgebung. Sie führten intensive Bombardierungen von Orten mit nicht-serbischer Mehrheit durch, die viele Menschen zur Flucht zwangen. Sie errichteten auch zahlreiche Kontrollpunkte und Durchgangslager, wo sie Menschen festnahmen, misshandelten oder töteten. Eines dieser Lager war Omarska.

Das Lager

Das Lager Omarska existierte vom 25. Mai bis etwa zum 30. August 1992. Es befand sich auf dem Gelände des örtlichen Bergbauunternehmens. Die Gefangenen wurden in Hangars und Garagen untergebracht. Die serbischen Behörden bezeichneten es als “Sammellager” oder “Untersuchungslager” für verdächtige “Paramilitärs”. In Wirklichkeit war es jedoch ein Konzentrationslager, in dem die Gefangenen keinerlei Rechte oder Schutz hatten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch klassifizierte Omarska als ein Konzentrationslager. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag stellte fest, dass an diesem Ort Gefangene ermordet, gefoltert, vergewaltigt und misshandelt wurden2

Rund 6.000 bosnische Bosniaken und Kroaten, hauptsächlich Männer, wurden in dem Lager für etwa fünf Monate im Frühling und Sommer 1992 festgehalten. Unter ihnen waren auch zahlreiche Intellektuelle, Geschäftsleute und lokale Politiker3 Es befanden sich auch 37 Frauen im Lager. 32 der Frauen wurden später freigelassen, fünf Frauen wurden jedoch getötet3 Die Gefangenen mussten unter unmenschlichen Bedingungen leben. Sie erhielten kaum Nahrung oder Wasser, hatten keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen oder medizinischer Versorgung und waren ständig der Willkür und Gewalt der Wärter ausgesetzt. Viele starben an Hunger, Krankheiten, Erschöpfung oder Selbstmord.

Die Grausamkeiten

Die Grausamkeiten, die in Omarska verübt wurden, sind kaum zu beschreiben. Die Gefangenen wurden regelmäßig geschlagen, gequält, erniedrigt und gedemütigt. Sie wurden mit Eisenstangen, Baseballschlägern, Messern, Kabeln oder anderen Gegenständen verprügelt. Sie wurden mit Zigaretten verbrannt, mit Nägeln durchbohrt, mit Strom geschockt oder mit siedendem Wasser übergossen. Sie wurden gezwungen, sich gegenseitig zu schlagen oder zu vergewaltigen. Sie wurden gezwungen, das Blut oder die Eingeweide ihrer toten Mitgefangenen zu essen oder zu trinken. Sie wurden gezwungen, ihre eigene Religion oder Nationalität zu verleugnen oder zu beschimpfen. Sie wurden gezwungen, ihre eigenen Familienmitglieder oder Freunde zu identifizieren oder zu verraten.

Einige der schlimmsten Orte des Lagers waren das “Weiße Haus”, ein kleines Gebäude, in dem die brutalsten Folterungen stattfanden; der “Raum 3”, ein Hangar, in dem Hunderte von Gefangenen zusammengepfercht waren; der “Raum 15”, ein anderer Hangar, in dem viele Menschen an einer Choleraepidemie starben; und der “Pista”, ein offener Platz vor dem Hauptgebäude, auf dem die Gefangenen stundenlang in der Sonne stehen mussten.

Die Tötungen

Die Tötungen in Omarska waren häufig und willkürlich. Die Gefangenen wurden oft ohne Grund oder Anlass erschossen, erstochen oder erschlagen. Manchmal wurden sie einzeln oder in Gruppen aus dem Lager herausgeführt und an einem unbekannten Ort hingerichtet. Manchmal wurden sie vor den Augen ihrer Mitgefangenen getötet. Manchmal wurden sie in Lastwagen geladen und an andere Orte gebracht, wo sie ermordet wurden.

Die genaue Zahl der getöteten Menschen in Omarska ist nicht bekannt. Es gibt unterschiedliche Angaben darüber. Die Organisationen Human Rights Watch und das UNHCR gehen von Opferzahlen zwischen 4.000 und 5.000 getöteten Personen aus, die im Lager entweder systematisch umgebracht oder deren Tod billigend in Kauf genommen wurde2 Nach dem Ende des Krieges wurden in zwei in der Nähe gelegenen Massengräbern 773 Leichen entdeckt. Im Gebiet um Prijedor wurden zwischenzeitlich 62 Massengräber entdeckt, die im Zusammenhang mit dem Lager stehen könnten. Zeugenaussagen von Überlebenden des Lagers und die hohe Zahl bis heute vermisster Personen aus der Region bestätigen die Vermutung über die Zahl der oben genannten Opfer.

Die Schließung

Das Lager Omarska wurde im August 1992 geschlossen, nachdem es internationale Aufmerksamkeit erregt hatte.

Anfang August 1992 besuchten zwei Teams von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten das Lager Omarska. Sie wurden von den serbischen Behörden eingeladen, um zu beweisen, dass es sich um ein normales Untersuchungslager handelte. Die Besucher wurden jedoch mit einem erschütternden Anblick konfrontiert. Sie sahen Hunderte von abgemagerten, verängstigten und verletzten Gefangenen, die in schmutziger Kleidung auf dem Pista standen. Sie sahen Blutspuren, Einschusslöcher und Folterwerkzeuge in den Gebäuden. Sie sahen Leichen, die in der Nähe des Lagers vergraben waren. Sie hörten die Schreie und das Stöhnen der Gefolterten. Sie rochen den Gestank von Tod und Verwesung.

Die Journalisten und Menschenrechtsaktivisten machten Fotos und Videos von dem, was sie sahen, und interviewten einige der Gefangenen. Sie veröffentlichten ihre Berichte in den internationalen Medien, die einen Schock und eine Empörung in der Welt auslösten. Die Bilder von Omarska wurden zu einem Symbol für die Gräueltaten des Bosnienkrieges. Die Vereinten Nationen, die Europäische Gemeinschaft und andere Organisationen forderten die sofortige Schließung des Lagers und die Freilassung der Gefangenen.

Die serbischen Behörden reagierten auf den Druck und begannen, das Lager zu räumen. Sie verlegten einige der Gefangenen in andere Lager, wie Trnopolje oder Manjača. Sie ließen einige der Gefangenen frei, vor allem Frauen, Kinder und Alte. Sie töteten jedoch auch viele der Gefangenen, um Spuren zu verwischen oder Rache zu nehmen. Die genauen Umstände der Schließung des Lagers sind nicht klar. Es gibt widersprüchliche Angaben darüber, wann das Lager endgültig geschlossen wurde, wie viele Gefangene überlebten und wie viele getötet wurden.

Die Nachwirkungen

Das Lager Omarska hinterließ tiefe Narben in den Überlebenden, den Angehörigen der Opfer und der gesamten Region. Viele der Überlebenden leiden bis heute an posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Angstzuständen oder anderen psychischen Problemen. Viele haben körperliche Behinderungen oder chronische Krankheiten als Folge der Misshandlungen im Lager. Viele haben ihre Familien, Freunde oder Häuser verloren oder mussten fliehen. Viele haben Schwierigkeiten, sich in die Gesellschaft zu integrieren oder ein normales Leben zu führen.

Die Angehörigen der Opfer kämpfen um Gerechtigkeit und Wahrheit. Sie suchen nach ihren vermissten oder ermordeten Lieben. Sie fordern die Identifizierung und Bestattung der Leichen aus den Massengräbern. Sie fordern die Anerkennung und Entschädigung für ihr Leid. Sie fordern die Verurteilung und Bestrafung der Täter.

Die Region ist immer noch von ethnischen Spannungen und Konflikten geprägt. Die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften sind zerrüttet oder feindselig. Die Versöhnung ist schwierig oder unmöglich. Die Erinnerung an das Lager ist immer noch präsent und schmerzhaft.

Die Aufarbeitung

Das Lager Omarska wurde zu einem Gegenstand der juristischen, historischen und kulturellen Aufarbeitung. Der ICTY hat mehrere Personen wegen ihrer Rolle im Lager angeklagt, verurteilt oder freigesprochen. Zu den Angeklagten gehörten unter anderem Simo Drljača, der Polizeichef von Prijedor; Milomir Stakić, der Bürgermeister von Prijedor; Duško Tadić, ein ehemaliger Cafébesitzer aus Kozarac; Zoran Žigić, ein ehemaliger Taxifahrer aus Prijedor; Miroslav Kvočka, ein ehemaliger Polizist aus Omarska; Dragoljub Prcać, ein ehemaliger Verwalter des Bergbauunternehmens; Milojica Kos, ein ehemaliger Wachmann im Lager; Mlađo Radić, ein ehemaliger Wachmann im Lager; und Dragan Kolundžija, ein ehemaliger Wachmann im Lager. Die Urteile reichten von Freisprüchen bis zu lebenslangen Haftstrafen.

Die Historiker und Journalisten haben versucht, die Geschichte und die Bedeutung des Lagers zu erforschen und zu dokumentieren. Sie haben Archive, Zeugnisse, Fotos und Videos gesammelt und analysiert. Sie haben Bücher, Artikel, Berichte und Dokumentationen veröffentlicht. Zu den bekanntesten Werken über das Lager gehören unter anderem “The Death of Yugoslavia” von Laura Silber und Allan Little; “Seasons in Hell: Understanding Bosnia’s War” von Ed Vulliamy; “Srebrenica: A Cry from the Grave” von Leslie Woodhead; “The Unwanted: The Secret Windrush Files” von David Olusoga; und “Omarska: A Camp of Death and Forgetting” von Roy Gutman.

Die Künstler und Aktivisten haben versucht, das Lager zu gedenken und zu kritisieren. Sie haben Gemälde, Skulpturen, Gedichte, Lieder, Theaterstücke, Filme und Performances geschaffen. Zu den bekanntesten Werken über das Lager gehören unter anderem “The Cellist of Sarajevo” von Steven Galloway; “The Bosnia Elegies” von Adrian Oktenberg; “Sarajevo Blues” von Semezdin Mehmedinović; “Pretty Village” von Leslie Finlay; “Grbavica: The Land of My Dreams” von Jasmila Žbanić; und “The Living Library” von Haris Pašović.

Das Lager Omarska ist ein dunkles Kapitel des Bosnienkrieges, das nicht vergessen werden darf. Es ist ein Zeugnis für die Grausamkeit und den Wahnsinn des Menschen. Es ist eine Mahnung für die Notwendigkeit des Friedens und der Menschenrechte. Es ist eine Herausforderung für die Zukunft der Region und der Welt.

Quellen

Vervaecke, Julien. In: Neue Deutsche Biographie 27 (2020), S. 283-284 [Onlinefassung]; URL: 1

2 Human Rights Watch: The Unindicted: Reaping the Rewards of “Ethnic Cleansing”. New York 1997, S. 13-14. URL: 2

3 Gutman, Roy: Omarska: A Camp of Death and Forgetting. In: Newsday, 2. August 1992, S. 4-5. URL: 3

Silber, Laura; Little, Allan: The Death of Yugoslavia. London 1996, S. 121-122.

ICTY: Prosecutor v. Miroslav Kvočka et al., Judgement, Case No. IT-98-30/1-T, 2. November 2001, S. 29-30. URL:

ICTY: Prosecutor v. Duško Tadić, Judgement, Case No. IT-94-1-T, 7. Mai 1997, S. 112-113. URL:

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