Katastrophen der Menschheit – Gaskatastrophe von Bhopal

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Die Gaskatastrophe von Bhopal war das schlimmste Chemieunglück in der Geschichte, das am 3. Dezember 1984 im indischen Bhopal, der Hauptstadt des Bundesstaats Madhya Pradesh, stattfand. In einem Werk des indischen Unternehmens Union Carbide India Limited (UCIL), das zu 51 Prozent dem US-Chemiekonzern Union Carbide Corporation (UCC) gehörte, traten aufgrund menschlicher Fehler und mangelnder Sicherheitsvorkehrungen mehrere Tonnen giftiger Stoffe in die Atmosphäre, vor allem Methylisocyanat (MIC), das zur Herstellung von Pestiziden verwendet wurde. Die Gaswolke breitete sich über die umliegenden Wohngebiete aus und verursachte Tausende von Todesfällen und Verletzungen, die bis heute anhalten. Die Katastrophe von Bhopal war nicht nur eine technische Panne, sondern auch ein Fall von unzureichender Haftung, mangelnder Entschädigung und fehlender Säuberung des verseuchten Geländes.

Der Ablauf der Katastrophe

Die UCIL-Fabrik in Bhopal wurde 1977 eröffnet, um das Pestizid Sevin zu produzieren, das in Indien stark nachgefragt war. Die Fabrik war für eine Kapazität von 5000 Tonnen pro Jahr ausgelegt, aber der Absatz ging Anfang der 80er Jahre zurück, was zu Überproduktion und Lagerproblemen führte. Um Kosten zu sparen, reduzierte das Unternehmen das Personal, verlängerte die Wartungsintervalle und verwendete billigere Ersatzteile. Außerdem plante es, die Fabrik zu schließen oder zu verkaufen, was zu einer geringeren Motivation und Qualifikation der verbliebenen Mitarbeiter führte.

Am Abend des 2. Dezember 1984 führten einige Arbeiter eine routinemäßige Reinigung eines Rohrleitungssystems durch, das mit dem Tank 610 verbunden war, in dem etwa 42 Tonnen MIC gelagert wurden. Dabei ließen sie versehentlich Wasser in das Rohr einlaufen, das einen Rückschlagventil passierte, das defekt war. Das Wasser gelangte in den Tank 610, wo es mit dem MIC eine heftige exotherme Reaktion auslöste, die Kohlenstoffdioxid und Wärme freisetzte. Der Druck und die Temperatur im Tank stiegen rasch an und überstiegen die Grenzwerte der Sicherheitssysteme, die entweder abgeschaltet oder unzureichend waren. Die Überdruckventile öffneten sich und ließen das Gasgemisch aus MIC und anderen Reaktionsprodukten in die Luft entweichen. Der gesamte Tankinhalt verflüchtigte sich in weniger als zwei Stunden.

Die Gaswolke wurde vom Wind in Richtung Süden getrieben, wo sich dicht besiedelte Slums befanden. Die Menschen, die in ihrer Nachtruhe überrascht wurden, spürten plötzlich einen stechenden Geruch und bekamen Atemnot, Husten, Brennen in den Augen und der Haut, Erbrechen und Krämpfe. Viele versuchten zu fliehen, aber es gab keine Warnung oder Anweisung von den Behörden oder dem Unternehmen. Die Krankenhäuser waren überfordert und wussten nicht, wie sie die Opfer behandeln sollten, da sie keine Informationen über die Zusammensetzung oder die Wirkung des Gases hatten. Die Zahl der Toten und Verletzten war enorm, aber niemand konnte sie genau beziffern.

Die Folgen der Katastrophe

Die Gaskatastrophe von Bhopal hatte verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit, die Umwelt und die soziale Gerechtigkeit der betroffenen Bevölkerung. Schätzungen der Opferzahlen reichen von 3800 bis 25.000 Toten durch direkten Kontakt mit der Gaswolke sowie bis zu 500.000 Verletzten, die mitunter bis heute unter den Folgen des Unfalls leiden. Die zum Teil großen Abweichungen der Schätzungen erklären sich vor allem aus der ungenauen Kenntnis über die Zahl der Einwohner in den betroffenen Gebieten, der mangelnden Registrierung der Todesfälle und der unterschiedlichen Definition der Todesursachen.

Die Überlebenden leiden an einer Vielzahl von chronischen Erkrankungen, die durch die Exposition gegenüber dem Gas verursacht oder verschlimmert wurden. Dazu gehören Lungenfibrose, Bronchialasthma, Tuberkulose, Atembeschwerden, Sehstörungen, neurologische Schäden, psychische Probleme, Krebs, Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten, Missbildungen und Wachstumsstörungen bei Kindern. Die medizinische Versorgung der Opfer war unzureichend und unangemessen, da sie oft auf falschen Diagnosen, ineffektiven Behandlungen und fehlenden Informationen beruhte. Viele Opfer konnten sich keine angemessene medizinische Hilfe leisten oder hatten keinen Zugang dazu.

Die Umwelt in und um Bhopal wurde ebenfalls schwer geschädigt. Die Gaswolke zerstörte die Vegetation, tötete Tiere und verunreinigte die Luft. Die Fabrik wurde nach dem Unglück stillgelegt, aber die giftigen Abfälle und Chemikalien blieben auf dem Gelände zurück, ohne ordnungsgemäß entsorgt oder gesichert zu werden. Die Schadstoffe sickerten in den Boden und das Grundwasser ein und verseuchten die Trinkwasserquellen der Anwohner. Die Wasserqualität war so schlecht, dass sie die Gesundheit der Menschen gefährdete und zu weiteren Krankheiten und Todesfällen führte. Die Sanierung des Geländes wurde immer wieder verzögert und behindert, da niemand die Verantwortung oder die Kosten dafür übernehmen wollte.

Die soziale Gerechtigkeit für die Opfer der Katastrophe von Bhopal war ebenfalls schwer zu erreichen. Die juristische Aufarbeitung des Falls war langwierig und kompliziert, da es viele Streitpunkte und Hindernisse gab, wie die Zuständigkeit der Gerichte, die Höhe der Entschädigung, die Beweislast, die Immunität der Angeklagten und die Korruption.

Die UCC und ihre indische Tochtergesellschaft UCIL versuchten, ihre Haftung zu begrenzen, indem sie die Schäden herunterspielten, die Verantwortung abschoben, die Beweise manipulierten und die Opfer einschüchterten. Die indische Regierung handelte oft nicht im Interesse der Opfer, sondern im Interesse der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit den USA. Die Opfer und ihre Angehörigen wurden oft diskriminiert, stigmatisiert und marginalisiert, da sie zu den ärmsten und schwächsten Schichten der Gesellschaft gehörten.

Die Lehren aus der Katastrophe

Die Gaskatastrophe von Bhopal war ein tragisches Ereignis, das hätte verhindert werden können, wenn die Sicherheitsstandards, die Menschenrechte und die Umweltschutzmaßnahmen eingehalten worden wären. Die Katastrophe zeigte die Gefahren und Risiken der chemischen Industrie, die oft auf Kosten der Gesundheit und des Lebens der Menschen und der Umwelt operiert. Die Katastrophe zeigte auch die Notwendigkeit, die Rechte und die Würde der Opfer zu respektieren und zu schützen, die oft keine Stimme oder kein Recht haben, ihre Forderungen geltend zu machen. Die Katastrophe zeigte schließlich die Bedeutung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und die Gerechtigkeit zu gewährleisten, die oft durch Macht, Geld und Korruption verhindert wird.

Die Gaskatastrophe von Bhopal ist eine Mahnung an die Welt, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und die Lektionen der Zukunft zu lernen. Es ist eine Mahnung, die Sicherheit und die Vorsorge in der chemischen Industrie zu verbessern, die Transparenz und die Information in den Notfällen zu erhöhen, die medizinische und die soziale Versorgungder Opfer zu verbessern, die Entschädigung und die Säuberung der Opfer zu beschleunigen, die Haftung und die Rechenschaft der Verursacher zu erhöhen, die Solidarität und die Unterstützung der Betroffenen zu stärken, die Prävention und die Vorsorge für die Zukunft zu fördern und die Gerechtigkeit und den Frieden für alle zu sichern.

Die Gaskatastrophe von Bhopal ist eine offene Wunde, die noch nicht geheilt ist. Die Opfer und ihre Nachkommen warten immer noch auf eine angemessene Anerkennung, Entschädigung und Wiedergutmachung. Die Verantwortlichen und ihre Helfer sind immer noch nicht vollständig zur Rechenschaft gezogen worden. Die Umwelt und die Gesundheit sind immer noch bedroht. Die Welt darf die Katastrophe von Bhopal nicht vergessen oder ignorieren. Sie muss aus ihr lernen und handeln, um ähnliche Tragödien zu vermeiden.

Quellen

  • [1] Amnesty International. (2004). Clouds of injustice: Bhopal disaster 20 years on. London: Amnesty International Publications.

  • [2] Broughton, E. (2005). The Bhopal disaster and its aftermath: a review. Environmental health, 4(1), 6.

  • [3] Eckerman, I. (2005). The Bhopal saga: causes and consequences of the world’s largest industrial disaster. Hyderabad: Universities Press.

  • [4] Fortun, K. (2001). Advocacy after Bhopal: environmentalism, disaster, new global orders. Chicago: University of Chicago Press.

  • [5] Lapierre, D., & Moro, J. (2002). Five past midnight in Bhopal: the epic story of the world’s deadliest industrial disaster. New York: Warner Books.

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