Katastrophen der Menschheit – Bikini Atoll, die Zwangsvertreibung aus dem Paradies

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Es war ein kleines Paradies im Pazifik, das Bikini Atoll. Mit seinen 23 Inseln, seiner üppigen Vegetation und seiner reichen Meeresfauna bot es seinen Bewohnern, den Bikinianern, eine idyllische Heimat. Doch im Jahr 1946 wurde dieses Paradies zur Hölle, als die USA das Atoll als Testgebiet für ihre Atom- und Wasserstoffbomben auswählten. Die Folgen waren verheerend: Die Inseln wurden radioaktiv verseucht, die Natur zerstört und die Menschen vertrieben.

Die Vertreibung der Inselbewohner

Die Bikinianer lebten seit Jahrhunderten auf dem Atoll, das zu den Marshallinseln gehört. Sie ernährten sich von dem, was die Inseln und das Meer ihnen boten, und pflegten ihre Kultur und Religion. Sie waren etwa 200 Menschen, die auf den beiden größten Inseln, Bikini und Enyu, siedelten. Sie hatten kaum Kontakt mit der Außenwelt, bis die USA im Zweiten Weltkrieg die Marshallinseln von Japan eroberten.

Im Februar 1946 besuchte der US-Kommodore Ben H. Wyatt die Bikinianer und bat sie, ihre Heimat vorübergehend zu verlassen, damit die USA dort Atombomben testen könnten. Er versprach ihnen, dass sie bald zurückkehren könnten, und dass sie damit einen Beitrag zum Weltfrieden leisten würden. Der König der Bikinianer, Juda, willigte ein, im Glauben, dass es sich um eine geringe Opfergabe handelte. Er sagte: “Wir sind bereit, alles zu tun, was zum Wohle der Menschheit und zum Ende aller Weltkriege beiträgt.” 1

Die Bikinianer wurden auf das kleine und karge Rongerik Atoll umgesiedelt, das 200 Kilometer entfernt lag. Sie mussten ihre Häuser, ihre Boote, ihre Tiere und ihre Grabstätten zurücklassen. Sie hatten kaum Nahrung und Wasser, und litten unter Hunger, Durst und Krankheiten. Sie fühlten sich von ihren Ahnen und ihrem Gott getrennt. Sie baten die US-Regierung, sie auf eine andere Insel zu bringen, doch ihre Bitten wurden ignoriert.

Die Atom- und Wasserstoffbombentests

Während die Bikinianer auf Rongerik dahinvegetierten, begannen die USA mit ihren Atomtests auf dem Bikini Atoll. Die erste Bombe, mit dem Codenamen “Able”, wurde am 1. Juli 1946 in der Luft über der Lagune gezündet. Sie hatte eine Sprengkraft von 23 Kilotonnen, etwa so viel wie die Bombe, die auf Nagasaki abgeworfen wurde. Die zweite Bombe, “Baker”, wurde am 25. Juli 1946 unter Wasser in der Lagune detoniert. Sie hatte eine Sprengkraft von 21 Kilotonnen, und erzeugte eine riesige Wasserfontäne, die mehrere Schiffe versenkte. Die beiden Bomben waren Teil der Operation Crossroads, die die Auswirkungen von Atomwaffen auf Schiffe und Lebewesen untersuchen sollte. Zu diesem Zweck wurden 242 ausgemusterte Kriegsschiffe, 156 Flugzeuge und 5400 Versuchstiere (Ratten, Ziegen und Schweine) auf dem Atoll platziert. Die meisten Tiere starben an der Strahlung oder wurden getötet, um sie zu untersuchen. Die Schiffe wurden stark kontaminiert und mussten zum Teil versenkt werden23

Die Operation Crossroads war nur der Anfang einer Reihe von Atom- und Wasserstoffbombentests, die bis 1958 auf dem Bikini Atoll durchgeführt wurden. Insgesamt wurden 23 Bomben gezündet, die meisten davon in der Luft oder auf dem Riff. Die stärkste Bombe war “Bravo”, die am 1. März 1954 gezündet wurde. Es war die erste Wasserstoffbombe, die von den USA getestet wurde, und hatte eine Sprengkraft von 15 Megatonnen, tausendmal mehr als die Hiroshima-Bombe. Die Explosion war so gewaltig, dass sie einen Krater von zwei Kilometern Durchmesser und 76 Metern Tiefe in das Riff riss. Die radioaktive Wolke stieg bis zu 27 Kilometern Höhe auf, und verteilte sich über eine Fläche von 11.000 Quadratkilometern. Die Strahlung erreichte auch andere Inseln der Marshallinseln, wo sie Menschen, Tiere und Pflanzen schädigte. Vier Fischer, die auf einem japanischen Boot in der Nähe waren, wurden ebenfalls verstrahlt und erkrankten schwer. Einer von ihnen starb später an den Folgen. Die Bravo-Bombe war die größte Umweltkatastrophe, die je von Menschen verursacht wurde45

Das Schicksal der Bikinianer

Die Bikinianer wurden von Rongerik auf verschiedene andere Inseln umgesiedelt, doch keine von ihnen bot ihnen die Lebensbedingungen, die sie auf Bikini hatten. Sie litten unter Mangelernährung, Krankheiten und Kulturverlust. Sie wurden von den USA als Versuchskaninchen benutzt, um die Langzeitfolgen der Strahlung zu erforschen. Sie wurden regelmäßig untersucht, befragt und beobachtet, doch sie erhielten kaum medizinische oder finanzielle Hilfe. Sie wurden auch nicht über die Gefahren der Strahlung aufgeklärt, und durften nicht über ihre Situation sprechen. Sie wurden zu Opfern eines atomaren Kolonialismus6

Im Jahr 1968 erklärten die USA das Bikini Atoll für sicher, und erlaubten den Bikinianern, auf ihre Heimat zurückzukehren. Etwa 100 Menschen siedelten sich wieder auf Bikini an, und begannen, ihre Häuser und ihre Landwirtschaft wieder aufzubauen. Doch sie wurden getäuscht: Die Strahlung war immer noch zu hoch, vor allem in der Nahrungskette. Die Kokosnüsse, die Bananen, das Brotfrucht und das Schweinefleisch, die sie aßen, waren stark kontaminiert. Die Menschen erkrankten an Krebs, Leukämie, Schilddrüsenproblemen und Fehlgeburten. 1978 mussten sie ihre Insel ein zweites Mal verlassen, und wurden auf die Insel Kili gebracht, die 800 Kilometer entfernt lag. Dort fanden sie keine Lagune, kein Riff und kein Bootfahren vor, was für sie essentiell war. Sie fühlten sich wie Fremde in einem fremden Land7

Die Bikinianer kämpften jahrelang für eine angemessene Entschädigung und eine Wiederherstellung ihrer Insel. Sie reichten mehrere Klagen gegen die USA ein, und erhielten schließlich einen Treuhandfonds von 150 Millionen Dollar, der ihnen jährliche Zahlungen und medizinische Versorgung garantieren sollte. Doch der Fonds war bald erschöpft, und die Zahlungen wurden eingestellt. Die USA weigerten sich, weitere Gelder bereitzustellen, und verwiesen auf ein Abkommen mit der Republik der Marshallinseln, die 1986 unabhängig wurde. Die USA behaupteten, dass sie ihre Verantwortung für die Bikinianer an die neue Regierung abgetreten hätten. Doch die Marshallinseln waren selbst ein armes und geschädigtes Land, das kaum die Bedürfnisse seiner eigenen Bevölkerung decken konnte. Die Bikinianer fühlten sich im Stich gelassen und betrogen8

Heute leben die meisten Bikinianer auf der Insel Majuro, der Hauptstadt der Marshallinseln. Sie sind etwa 4500 Menschen, die in Armut und Abhängigkeit leben. Sie haben kaum Arbeit, Bildung oder Gesundheit. Sie leiden unter den Folgen der Strahlung, die sich auch auf ihre Nachkommen auswirkt. Sie haben ihre kulturelle Identität und ihren Stolz verloren. Sie sehnen sich nach ihrer Heimat, die sie nie wiedersehen werden. Das Bikini Atoll ist heute ein Sperrgebiet, das nur von wenigen Wissenschaftlern und Touristen besucht wird. Die Inseln sind immer noch radioaktiv, die Natur ist immer noch zerstört, und die Menschen sind immer noch vertrieben. Das Paradies ist zur Hölle geworden.

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