Katastrophen der Menschheit – Hjeltefjord: Wie eine norwegische Fregatte mit einem Tanker kollidierte und sank

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Katastrophen sind keine Zufälle. Sie sind das Ergebnis einer fatalen Kette von Ereignissen, die durch menschliches und technisches Versagen ausgelöst werden. Oft sind es kleine Fehler oder Nachlässigkeiten, die sich zu einer großen Krise aufschaukeln. Manchmal sind es auch bewusste Entscheidungen oder Risiken, die sich als fatal erweisen. In jedem Fall sind Katastrophen eine Herausforderung für die Menschheit, aus ihnen zu lernen und sie zu vermeiden. Denn Katastrophen haben nicht nur materielle Folgen, sondern auch emotionale und soziale. Sie können ganze Lebenswelten zerstören und tiefe Traumata hinterlassen.

Es war eine kalte und dunkle Nacht am 08. November 2018, als sich eine der schwersten Schiffskatastrophen in der Geschichte Norwegens ereignete. Die Fregatte KNM Helge Ingstad, ein modernes und hochgerüstetes Kriegsschiff, kollidierte mit dem Öltanker Sola TS im Hjeltefjord bei Bergen. Die Folgen waren verheerend: Die Fregatte wurde schwer beschädigt, sank wenige Tage später und wurde später als Totalverlust verschrottet. Acht Besatzungsmitglieder wurden verletzt, aber glücklicherweise gab es keine Todesopfer. Wie konnte es zu diesem Unglück kommen? Was lief schief an Bord der Helge Ingstad? Und wer trägt die Verantwortung dafür?

Die Helge Ingstad war eine von fünf Fregatten der Fridtjof-Nansen-Klasse, die zwischen 2006 und 2011 von einer spanischen Werft für die norwegische Marine gebaut wurden1. Die Fregatten waren für vielfältige Einsätze konzipiert, wie zum Beispiel U-Boot-Jagd, Luftabwehr, Seeraumüberwachung oder Spezialeinsätze. Sie waren mit modernster Technik ausgestattet, wie zum Beispiel einem Stealth-Design, das sie für Radarsysteme schwer erkennbar machte, einem Hubschrauberlandeplatz, Torpedos und Raketen. Die Helge Ingstad war nach einem berühmten norwegischen Polarforscher benannt und wurde 2009 in Dienst gestellt2.

Am 8. November 2018 befand sich die Helge Ingstad auf dem Rückweg von dem Nato-Manöver Trident Juncture, an dem sie zusammen mit rund 50.000 Soldaten aus 31 Ländern teilgenommen hatte3. Das Manöver sollte die Verteidigungsfähigkeit und die Zusammenarbeit der Nato-Partner in Nordeuropa demonstrieren. Die Helge Ingstad hatte dabei vor allem bei der U-Boot-Jagd eine wichtige Rolle gespielt.

Um 3:55 Uhr morgens fand an Bord der Fregatte der Wachwechsel statt. Der neue Wachoffizier, ein 28-jähriger Leutnant zur See, übernahm die Verantwortung für die Navigation des Schiffs im Hjeltefjord, einem schmalen und stark befahrenen Gewässer an der norwegischen Küste. Er hatte nur wenige Minuten Zeit, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Er sah auf dem Radar mehrere Schiffe in der Nähe, darunter auch ein großes Objekt, das sich langsam bewegte. Er hielt es für eine stationäre Plattform des nahe gelegenen Ölterminals Sture. In Wirklichkeit handelte es sich um den Öltanker Sola TS, der gerade von dem Terminal abgelegt hatte und mit 625.000 Litern Rohöl beladen war.

Der Wachoffizier bemerkte nicht, dass er auf Kollisionskurs mit dem Tanker war. Er vertraute auf das automatische Identifikationssystem (AIS) seines Schiffs, das seine Position und seinen Kurs an andere Schiffe übermittelte. Er wusste jedoch nicht, dass das AIS ausgeschaltet war, um die Tarnung des Schiffs zu erhöhen. Der Tanker hingegen hatte sein AIS eingeschaltet und sah die Fregatte auf seinem Radar. Er versuchte mehrmals, per Funk Kontakt mit ihr aufzunehmen, erhielt aber keine Antwort.

Erst kurz vor der drohenden Kollision erkannte der Wachoffizier seinen Fehler. Er sah die Deckbeleuchtung des Tankers und hörte seine Warnsignale. Er befahl sofort eine scharfe Rechtskurve, um dem Tanker auszuweichen. Doch es war zu spät. Um 4:01 Uhr krachte die Fregatte mit voller Wucht in die Seite des Tankers. Der Rumpf der Helge Ingstad wurde auf einer Länge von fast 50 Metern aufgerissen. Wasser strömte in die Maschinenräume und die Munitionskammern. Die Fregatte verlor die Kontrolle über ihre Antriebe und ihre Steuerung.

Der Kapitän der Helge Ingstad entschied, das Schiff in Ufernähe auf Grund zu setzen, um ein Sinken zu verhindern. Die 137 Besatzungsmitglieder wurden evakuiert, acht von ihnen wurden leicht verletzt. Der Tanker hingegen wurde nur leicht beschädigt und konnte seine Fahrt fortsetzen. Die Mannschaft blieb unverletzt. Die Küstenwache meldete, dass Helikoptertreibstoff aus der Fregatte ausgelaufen sei, aber kein Öl aus dem Tanker.

Die Rettungsaktion war jedoch nicht das Ende der Tragödie. Wenige Tage später löste sich die Helge Ingstad von ihrem Ankerplatz und sank in die Tiefe des Fjords. Die Bergung des Schiffs gestaltete sich als schwierig und kostspielig. Erst im März 2019 gelang es, die Fregatte mit einem Spezialschiff an die Oberfläche zu heben und in einen Marinestützpunkt zu transportieren. Dort wurde sie gründlich untersucht und schließlich als irreparabel eingestuft. Die norwegische Marine verlor damit eines ihrer wichtigsten Kriegsschiffe, das einen Wert von rund 260 Millionen Euro hatte.

Die Frage nach der Schuld an dem Unglück beschäftigte die norwegische Öffentlichkeit und die Justiz für lange Zeit. Eine staatliche Havariekommission kam zu dem Schluss, dass mehrere Faktoren zu dem Unfall beigetragen hatten, wie zum Beispiel menschliche Fehler, technische Mängel, organisatorische Schwächen und unklare Kommunikation. Die Kommission kritisierte vor allem das Verhalten des Wachoffiziers, der die Situation falsch eingeschätzt und zu spät reagiert hatte. Er wurde wegen fahrlässiger Gefährdung des Schiffsverkehrs angeklagt und im Mai 2023 zu einer Haftstrafe von 60 Tagen auf Bewährung verurteilt. Sein Verteidiger kündigte an, in Berufung zu gehen.

Die Kollision zwischen der Helge Ingstad und dem Sola TS war ein dramatisches Ereignis, das die norwegische Marine vor große Herausforderungen stellte. Sie musste nicht nur den Verlust eines ihrer wertvollsten Schiffe verkraften, sondern auch ihre Sicherheitsstandards überprüfen und verbessern. Die Lehren aus dem Unglück sollen dazu beitragen, dass sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt.

Quellen:

1: Norwegen: Wachoffizier der 2018 gesunkenen Fregatte „Helge Ingstad“ zu Haftstrafe verurteilt | NORDISCH.info

2: Norwegen: Kriegsschiff “Helge Ingstad” rammt Tanker bei Nato-Übung

3: [Nato-Manöver Trident Juncture: Norwegische Fregatte kollidiert mit Tanker – DER SPIEGEL]

: [Norwegian frigate KNM Helge Ingstad sinks after collision with oil tanker – Naval Technology]

: [Norwegian frigate collision: The human factor – BBC News]

: [Norwegian frigate collides with oil tanker off country’s coast, 8 injured (PHOTO, VIDEO) — RT World News]

: [Norway’s navy frigate collides with oil tanker and sinks – Business Insider]

: [Norwegian frigate was warned before collision – CNN]

: [Norwegian frigate collision: The human factor – BBC News]

: [Norwegian frigate collides with oil tanker off country’s coast, 8 injured (PHOTO, VIDEO) — RT World News]

: [Norway’s navy frigate collides with oil tanker and sinks – Business Insider]

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