Katastrophen in unterirdischen Höhlen: Höhlenrettung in den Berchtesgadener Alpen, Deutschland (2014) 

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Höhlen sind faszinierende Portale in eine geheime Welt, deren Gefahren oft von außen nicht erkennbar sind. Rutschige Oberflächen, fehlendes Licht und unerforschte Tiefen sind nur einige der Risiken. In manchen Höhlen ereigneten sich schlimme Katastrophen, von denen wir in dieser Reihe nun berichten. Steigen Sie mit uns hinab in die Tiefen, aber bleiben Sie stets dicht hinter uns. 

“In tiefen, kalten, hohlen Räumen, // Wo Schatten sich mit Schatten paaren, // Wo alte Bücher Träume träumen, // Von Zeiten, als sie Bäume waren, // Wo Kohle Diamant gebiert, // Man weder Licht noch Gnade kennt, // Dort ist’s, wo jener Geist regiert, // Den man den Schattenkönig nennt.” 

So beschrieb der Autor Walter Moers die Faszination und den Schrecken der Unterwelt in seinem Roman “Die Stadt der Träumenden Bücher”. Für viele Höhlenforscher ist die Erforschung der verborgenen Welten unter der Erde eine Leidenschaft, die sie immer wieder in die Tiefe lockt. Doch was, wenn etwas schiefgeht? Wenn ein Unfall die Rückkehr ans Tageslicht verhindert? Wenn jede Minute zählt, um ein Menschenleben zu retten? 

Genau das geschah vor zehn Jahren in der Riesending-Schachthöhle im Untersberg, Berchtesgadener Alpen. Dort ereignete sich eine der aufwändigsten und medienwirksamsten Höhlenrettungen der Geschichte. Der Höhlenforscher Johann Westhauser wurde durch einen Steinschlag schwer am Kopf verletzt und musste aus rund 1000 Metern Tiefe und sechs Kilometern Entfernung zum Eingang geborgen werden. Für die Rettung waren über 700 Personen aus fünf Nationen im Einsatz, davon über 200 in der Höhle. Die Kosten wurden auf rund eine Million Euro geschätzt. Die Rettungsaktion dauerte vom Unfallzeitpunkt bis zum Erreichen des Tageslichtes zwölf Tage. 

Ein Schicksalsschlag in der Dunkelheit 

Johann Westhauser war kein Anfänger in der Höhlenforschung. Der damals 52-jährige Labortechniker aus Karlsruhe war seit 30 Jahren Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Höhle und Karst Stuttgart e.V. und gehörte zu den Entdeckern der Riesending-Schachthöhle, die 1995 erstmals befahren wurde. Die Höhle gilt als die längste (19,2 Kilometer) und tiefste (1148 Meter) Deutschlands und als eine der schwierigsten der Welt. Sie ist geprägt von engen Schächten, steilen Abstiegen, unterirdischen Flüssen und Seen, die nur mit spezieller Ausrüstung und Erfahrung zu bewältigen sind. 

Am Samstag, den 7. Juni 2014, stieg Westhauser zusammen mit zwei weiteren Höhlenforschern in die Höhle ein, um weitere Vermessungen und Erkundungen durchzuführen. Sie planten, vier Tage in der Höhle zu verbringen und dann wieder aufzusteigen. Doch in der Nacht zum Sonntag, gegen 1:30 Uhr, passierte das Unglück. In rund 1000 Metern Tiefe, in der sogenannten Biwakschachtel, wurde Westhauser von einem herabfallenden Felsbrocken am Kopf getroffen. Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und einen Jochbeinbruch. Sein Helm wurde dabei nur leicht beschädigt, was ihm vermutlich das Leben rettete. 

Einer seiner Begleiter blieb bei ihm, während der andere sich auf den Weg machte, um Hilfe zu holen. In der Höhle gab es damals keine Funk- oder Mobilfunkverbindung zur Außenwelt. Der alarmierende Begleiter brauchte zwölf Stunden, um den Eingang zu erreichen und die Rettungsaktion in Gang zu setzen. 

Eine beispiellose Rettungsaktion 

Sofort nach dem Alarm wurden die Bergwacht Bayern, die Höhlenrettung Bayern und die Höhlenrettung Baden-Württemberg aktiviert. Sie machten sich auf den Weg zum Untersberg, wo sie ein Basislager am Höhleneingang errichteten. Von dort aus organisierten sie den Transport von Material, Ausrüstung und Personal in die Höhle. Die ersten Retter erreichten Westhauser am Montagabend, den 9. Juni. Sie versorgten ihn medizinisch und stabilisierten ihn. Am Mittwochabend, den 11. Juni, traf ein Arzt an der Unglücksstelle ein, der Westhauser weiter untersuchte und behandelte. 

Am Freitag, den 13. Juni, begann der langwierige Abtransport des Verletzten. Er wurde auf einer speziellen Trage liegend durch die Höhle transportiert, die an mehreren Stellen mit Seilen und Flaschenzügen gesichert war. Die Retter mussten dabei zahlreiche Hindernisse überwinden, wie enge Passagen, steile Schächte, Wasserfälle und Geröll. Der Zustand Westhausers stabilisierte sich so weit, dass er zeitweise aufstehen und an der Rettung mitwirken konnte. Eine besondere Herausforderung war, einen Rettungskollaps zu vermeiden, der durch den plötzlichen Wechsel von Druck und Temperatur ausgelöst werden kann. 

Die Rettungsaktion wurde zu einer internationalen Angelegenheit. Neben deutschen Höhlenrettern kamen auch Experten aus Österreich, der Schweiz, Italien und Kroatien zum Einsatz. Sie wechselten sich in Schichten ab, um die Strapazen zu bewältigen. Auch die Bundeswehr, die Polizei, die Feuerwehr und andere Hilfsorganisationen unterstützten die Aktion mit Personal, Material und Logistik. Die Medien berichteten ausführlich über den dramatischen Einsatz, der weltweit Aufmerksamkeit erregte. 

Ein glückliches Ende nach zwölf Tagen 

Am Donnerstag, den 19. Juni, erreichte Westhauser endlich den letzten Schacht vor dem Ausgang, der 180 Meter hoch und sehr eng und verwinkelt war. Um ihn dort hochzuziehen, wurde eine spezielle Seilwinde installiert, die von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt wurde. Die Winde wurde von einem Generator angetrieben, der per Hubschrauber an den Berg geflogen wurde. Die Bergung aus dem Schacht dauerte mehrere Stunden und erforderte höchste Präzision und Konzentration. 

Um 11:44 Uhr war es dann geschafft. Westhauser wurde aus der Höhle geholt und sah nach zwölf Tagen wieder das Tageslicht. Er wurde von den Rettern und den Medienvertretern mit Applaus und Jubel empfangen. Er wirkte erschöpft, aber erleichtert. Er wurde sofort in einen Hubschrauber gebracht, der ihn in eine Spezialklinik nach Murnau flog. Dort wurde er weiter behandelt und erholte sich von seinen Verletzungen. 

Die Rettungsaktion war damit erfolgreich beendet. Die Retter und die Beteiligten waren überglücklich und stolz auf ihre Leistung. Sie wurden von der Öffentlichkeit und den Behörden für ihren Einsatz gelobt und geehrt. Die Rettungsaktion gilt als eine der komplexesten und schwierigsten in der Geschichte der Höhlenrettung. Sie zeigte, was mit Teamwork, Professionalität und Solidarität möglich ist. 

Ein Fazit nach zehn Jahren 

Zehn Jahre nach dem Unfall blickt Johann Westhauser mit Dankbarkeit und Demut auf die Rettungsaktion zurück. Er hat sich vollständig von seinen Verletzungen erholt und ist wieder aktiv in der Höhlenforschung. Er ist sogar wieder in die Riesending-Schachthöhle eingestiegen, um seine Arbeit fortzusetzen. Er sagt, dass er die Höhle nicht als Feind, sondern als Freund sieht, der ihm viel gegeben hat. Er hat auch den Kontakt zu den Rettern gehalten, die er als seine “Höhlenfamilie” bezeichnet. 

Die Riesending-Schachthöhle ist nach wie vor ein faszinierendes und geheimnisvolles Forschungsobjekt. Seit der Rettungsaktion wurden weitere Vermessungen und Erkundungen durchgeführt, die neue Erkenntnisse über die Höhle und den Untersberg gebracht haben. Die Höhle ist aber auch ein Mahnmal für die Gefahren und Risiken, die mit der Höhlenforschung verbunden sind. Die Höhle ist seit 2016 als Naturdenkmal geschützt und darf nur von autorisierten Höhlenforschern befahren werden. 

Die Höhlenrettung im Berchtesgadener Land war ein Ereignis, das viele Menschen bewegt und beeindruckt hat. Es war eine Geschichte von Mut, Ausdauer und Menschlichkeit, die in die Geschichte eingegangen ist. Es war auch eine Geschichte von der Schönheit und dem Geheimnis der Unterwelt, die uns immer wieder in ihren Bann zieht. 

Quellenangaben 

: Walter Moers, Die Stadt der Träumenden Bücher, Piper Verlag, 2004 : https://www.br.de/nachrichten/bayern/riesending-hoehle-der-unfall-und-die-rettung-von-johann-westhauser,Rf0Z7vS : https://www.spiegel.de/panorama/riesending-schachthoehle-die-rettung-von-johann-westhauser-a-975740.html : https://www.sueddeutsche.de/panorama/riesending-schachthoehle-johann-westhauser-rettung-1.2013440 : https://www.welt.de/vermischtes/article129321915/Der-Mann-der-die-Hoehle-nicht-als-Feind-sieht.html : https://www.tagesschau.de/inland/hoehlenforscher-rettung-101.html : https://www.focus.de/panorama/welt/riesending-schachthoehle-rettung-von-johann-westhauser-ist-geschafft_id_3934334.html 

 

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