Katastrophen der Menschheit: Zugunglück von Leipzig vom 15.05.1960

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Katastrophen geschehen nicht einfach. Sie sind meist eine Verwicklung von unglücklichen Umständen, von menschlichen und technischen Einwirkungen. Diese Katastrophe war gänzlich vermeidbar gewesen, hätte man auf weitere Weisungen des FDL gewartet. Ein vorsätzlich verfälschter Weiterfahrtbefehl, eine feststeckende Weiche, kreative Stellwerksmitarbeiter sowie ein achtloser und gleichgültiger Lokführer, führten zum größten Zugunglück der damaligen Zeit in der DDR und zum Tode von 54 Zugreisenden sowie zu 240 Verletzten.

Ausgangslage

Schauen wir uns zum besseren Verständnis der Gesamtlage zunächst die Ausgangslage im Bahnhof Leipzig des Jahres 1960 an. Züge von Leipzig HBF nach Halle passieren zunächst ein Stellwerk, dann ein Wärterhaus. Beide Stellwerke waren zu der Zeit elektromechanisch, das bedeutet, die Weichen mussten per Hand gestellt werden.

Wichtig ist hierbei, dass jede Fahrstraße nur für einen Zug (und nur für diesen Einen) gestellt wird. Passierte der Zug die gestellte Fahrstraße, wird diese Fahrstraße nach Übergabe an das folgende Stellwerk im ersten Stellwerk wieder aufgelöst. Zu keiner Zeit dürfen sich auf einer Fahrstraße zwei Züge befinden!

Halt bedeutet Halt! Züge dürfen ein halt-zeigendes Signal nicht überfahren, sondern haben sich beim Fahrdienstleiter Befehle abzuholen bzw. der FDL erteilt bei Rot weitere Anweisungen für den Zugführer. Bei einem technischen Defekt oder ähnlichen Ereignissen kann der FDL einen schriftlichen, vom ihm persönlich unterzeichneten, Befehl erteilen, das halt-zeigende Signal zu überfahren. Also: Nur der FDL befiehlt, ein rotes Signal zu überfahren!

Sehen wir uns die am Unglück beteiligten Züge an:

  • Um 20.20 h fuhr der Zug von Halle nach Leipzig HBF von Gleis 9 nach Gleis 15.

  • Auf Gleis 11 stand der Zug von Leipzig HBF nach Halle.

  • Einfahrt Zug von Halberstadt nach Leipzig HBF, über die Gleise 9 nach 12.

Der Fahrdienstleiter gab dem Wärterhaus Befehl, die Fahrstraße für die Ausfahrt des auf Gleis 11 befindlichen Zuges Richtung Halle zu stellen.

Zur gleichen Zeit wurde im Leipzig HBF die Einfahrt des Zuges von Halberstadt über Gleis 9 nach Gleis 12 erwartet. Zur einzustellenden Fahrstraße gehörte die Weiche 268. Diese Weiche ließ sich zwar umstellen, allerdings zeigte das Überwachungsrelais nichts an – die Weiche stand nicht auf Fahrt, das dazugehörige Hauptsignal ließ sich damit auch nicht auf Fahrt stellen.

Im Stellwerk des FDL forschten Mitarbeiter nach Lösungen, während die Mitarbeiter des Stellwerkes zur Lösung kamen, dem Zugführer einen verfälschten schriftlichen Befehl, ohne Wissen und Zustimmung des verantwortlichen FDL, mit einer Zeitfälschung (eine Stunde zurück) zu übergeben. Das bedeutet, der FDL weist den Zugführer an, das rote Signal einfach zu überfahren. Der Zugführer stellte keine Fragen, sondern fuhr los.

Die Weiche 268 stand ja richtig, lediglich die Überwachung war ausgefallen. Eine im Nachhinein fatale eigenmächtige Entscheidung. Denn die Stellwerk-Mitarbeiter hatten vergessen, auch die Weichen 262 und 263 für diesen Zug umzustellen, die noch auf Einfahrt statt auf Ausfahrt standen.

Ohne überhaupt die Fahrstraße auf Schlüssigkeit zu überprüfen, gaben sie die OK-Meldung an den FDL weiter und dieser gab sein Einverständnis für den schriftlichen Befehl (ohne das Dokument jemals gesehen zu haben). Das Unglück für den Zug Richtung Halle nahm hiermit ihren Lauf.

Ohne es zu ahnen, war er fortan als Geisterzug auf dem falschen Gleis unterwegs.

Der verantwortliche Lokführer des Zuges Richtung Halle bemerkte nicht, dass er auf dem falschen Gleis in Gegenrichtung fuhr, oder wollte einfach nichts bemerken. Die Mitarbeiter des Wärterstellwerkes, die den Zug auf Fahrt geschickt hatten, suchten verzweifelt nach Lösungen, diesen Geisterzug zu stoppen.

Anstatt das nächste Stellwerk anzurufen und den Zug stoppen zu lassen, riefen sie ihren FDL an und gestanden ihr Werk. Dieser war allerdings außerstande, die drohende Katastrophe noch zu verhindern.

Die Katastrophe

Auf Höhe der Leipziger Wollkämmerei stießen die beiden Züge frontal zusammen; mehrere Wagen der beiden Züge entgleisten. 54 Menschen starben bei diesem gänzlich vermeidbaren Unglück, stolze 240 Menschen wurden verletzt.

Nach dem Telefonat waren die Stellwerksmitarbeiter eifrig dabei, die schriftlichen Spuren ihres Verbrechens zu beseitigen. Allerdings gab es noch die späte Rache des ebenfalls verstorbenen Lokführers, denn das Original des schriftlichen Abfahrtbefehls fanden sich in den Trümmern der Züge.

Sofort nach dem Bekanntwerden des Unglücks begannen die Unfalluntersuchungen.

Folgen

Die Leipziger Strafkammer kam zu dem Entschluss, dass die alleinige Schuld für dieses Unglück bei den Mitarbeitern des Wärterstellwerkes zu suchen war. Für diese gab es langjährige Zuchthausstrafen.

Auch der FDL und die Mitarbeiter des Stellwerkes wurden für fahrlässige Dienstausübung mit Gefängnisstrafen bestraft.

https://de.wikipedia.org/wiki/Eisenbahnunfall_von_Leipzig#Folgen

jeweils abgerufen am 16.04.2023

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